Game-Test/-Review: Red Dead Redemption 2
Eine Spielwelt zum Verlieben und Fazit
Eine Spielwelt zum Verlieben
Die Bande und deren Camp stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Das Lager dient immer wieder als Rückzugsort – zum Crafting und als ausbaubare Basis – und die Bewohner als Dreh- und Angelpunkt für die Kampagneneinsätze. Auch wenn das Missionsdesign sicherlich nicht immer herausragend ist, so kreieren die Einsätze doch eine enge Verbundenheit mit den Figuren. Dadurch sind die gelegentlichen Twists und Rückschläge natürlich umso effektvoller. Sehr schön: Es gibt immer Rückbezüge auf den ersten Teil von «Red Dead Redemption». In den ersten Stunden etwa treffen Sie John Marston persönlich und auch der Epilog hat es in sich. Diesen Part möchten wir jedoch nicht spoilern.
Rockstar Games inszeniert sein Szenario mit einer ungeheuren Detailtiefe und gibt sich dabei kleinteilig wie selten zuvor. Diese Langsamkeit besitzt enormem Charme und erzeugt extrem Atmosphäre, kann aber gelegentlich auch etwas nerven. Bei der Jagd etwa müssen Sie das Tier erst aufspüren, dann häuten und das Fell auf dem Pferd verstauen. Zwischendurch sprechen Sie Ihrem Ross gut zu und bringen die Beute so zurück zum Händler Ihres Vertrauens. Das alles kostet Zeit und Aktionen am Gamepad.
Das Pferd ist Ihr treuster Begleiter und das zentrale Transportmittel in «Red Dead Redemption 2». Hektiker ärgern sich natürlich über das Fehlen einer Schnellreise, denn die Wege gestalten sich zeitweise als sehr lang. Zug, Kutsche und die Karte im ausgebauten Lager sind keine wirklichen Alternativen. Auf der anderen Seite aber malt Rockstar Games mit der Spielwelt von «Red Dead Redemption 2» seine Mona Lisa. Noch nie sah ein derartiges Szenario so schön aus und bot zugleich so viele Freiheiten und so viel Authentizität. Jeder Sonnenuntergang ist aufs Neue zauberhaft, jede Jagd ein kleines Erlebnis für sich. Die eingestreuten Zufallsbegegnungen strotzen vor Humor und kruden Charakteren.
Lediglich das Kopfgeldjägersystem bedarf noch ein wenig Feintuning: Die Burschen tauchen oftmals wie aus dem Nichts auf und richten dann pures Chaos an.
Survival mal anders
Darüber hinaus unterstreichen neue Survival-Aspekte das Setting: Arthur Morgan bekommt Hunger und Durst, Faktoren wie Ausdauer, Stärke und Dead Eye stellt das Spiel mithilfe sogenannter Kerne da. Wo andere Open-World-Spiele auf Item- und Talentpunkte-Grinding setzen, geht die Progression in «Red Dead Redemption 2» mit dem Open-World-Gameplay Hand in Hand. Je weiter Sie in die Spielwelt vordringen, desto schneller entwickelt sich Arthur Morgan weiter. Ob Sie also beispielsweise angeln gehen oder Sie sich in den Saloons an einer Partie Black Jack probieren, bleibt vollends Ihre Entscheidung. Diese Vielfältigkeit macht das Spielgefühl aus. Rockstar Games zwingt Sie nicht zum Abarbeiten bestimmter Aufgaben, sondern lässt Sie auf der Spielwiese «Red Dead Redemption 2» agieren, wie Sie möchten.
Abseits der ebenfalls eingestreuten Duelle geht es natürlich in dem Western-Abenteuer handfest zur Sache. Sie wählen dabei zwischen der Ego- und der Third-Person-Perspektive, bei langen Reisen schalten Sie zudem in die stimmungsvolle Kinoperspektive um. Die Steuerung ist eine der wenigen Achillesfersen des Spiels: Ähnlich wie schon «GTA V» spielt sich auch «Red Dead Redemption 2» vergleichsweise langsam und träge. Arthur Morgan ist ein echter Revolverheld und als solcher kein Actionheld, der behände von einer Deckung zur nächsten springt. Insgesamt sind Schiessereien trotz Dead-Eye-Zeitlupenfunktion gut kontrollierbar und motivierend, aber gelegentlich auch etwas zu behäbig. Gerade in Innenräumen fällt die Navigation schwer. Dieser Anspruch passt zum Setting, ist aber etwas unhandlich.
Das Missionsdesign greift alle gängigen Klischees und Möglichkeiten des Western-Genres auf: Von Bank- und Zugüberfällen bis hin zu Schlägereien, Saufgelagen, Kopfgeldjagden und obskuren Entdeckungstouren ist alles dabei, was Sie sich vorstellen können. Neue Standards setzt «Red Dead Redemption 2» in Sachen Missionsdesign sicher nicht, allerdings greifen Gameplay und Aufgaben absolut nahtlos ineinander und fügen sich in das Szenario ein. In Sachen Gesamtkonzeption macht diesem Spiel niemand etwas vor.
Fazit
Mit «Red Dead Redemption 2» sorgt Rockstar Games zum Ende des Jahres für einen gewaltigen Paukenschlag. Das Western-Abenteuer verliert sich zwar gelegentlich in seiner Kleinteiligkeit, setzt aber zugleich bei der Erschaffung eines Open-World-Spiels neue Standards. Die Liebe zum Detail ist atemberaubend und spiegelt sich in der puren Masse an Möglichkeiten zum Zeitvertreib wider. Das untermauert die Atmosphäre und wischt letztlich auch kleinere, spielerische Defizite wie etwa die träge Steuerung und gelegentliche Ungereimtheiten weg. Sie benötigen noch ein Spiel für die wirklich langen, dunklen Winterabende? Dann ist «Red Dead Redemption 2» genau das Richtige für Sie.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Games.ch veröffentlicht.