Das erwartet den Spieler 16.02.2018, 13:01 Uhr

Im Test: Kingdom Come: Deliverance

Ein Rollenspiel ohne Drachen, dafür aber mit viel Authentizität: «Kingdom Come: Deliverance» ist anders als die Konkurrenz. Das erwartet den Spieler.
(Quelle: Games.ch)
Das tschechische Entwicklerstudio Warhorse sorgte in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen. Das lediglich aus 80 Mitarbeitern bestehende Unternehmen finanzierte das Rollenspiel «Kingdom Come: Deliverance» mit der Unterstützung seiner sehr lebendigen Community. Statt der angepeilten 400'000 Franken landeten schliesslich über 1,5 Millionen Franken im Online-Klingelbeutel. Mehr als genug für die Fertigstellung des ambitionierten Projekts.
Überfall im Wald: «Kingdom Come: Deliverance» basiert auf der Cry Engine
Quelle: Games.ch
Doch zuletzt hagelte es auch Kritik: Für die unglückliche Aussendarstellung, für die Spielwelt selbst und für die knapp 30 Gigabyte starken Day-One-Patches, die sich jeder vor dem ersten Start herunterladen muss und die alle Bereiche des Spiels betreffen.
Keine gute Idee: Gegen mehrere Gegner hat Heinrich keine Chance
Quelle: Games.ch
«Kingdom Come: Deliverance» setzt – im Gegensatz zu Fantasy-Rollenspielen wie «The Witcher 3: Wild Hunt» oder «The Elder Scrolls V: Skyrim» - auf Authentizität und entführt einen zurück ins Böhmen des 15. Jahrhunderts. In einer Zeit der Bürgerkriege und Unruhen müssen Mittelalterfreunde mit Schmiedesohn Heinrich den Tod seiner Eltern rächen, ohne dabei selbst zwischen die Mühlen der politischen Intrigen zu geraten.

Der Weg ist das Ziel

Heinrich ist kein Hexer oder Auserwählter, der sein Königreich zu neuem Ruhm führt. Er ist ein einfacher Junge: Unbedarft, faul und naiv. Seine Welt ändert sich schlagartig, als ein Kumanenheer über sein Heimatdorf Skalitz hereinbricht und Freunde und Familie ermordet. Heinrich gelingt die Flucht; er sinnt nach Rache. Doch als Schmiedesohn besitzt er keinerlei Privilegien und lebt sprichwörtlich von der Hand in den Mund.
Im späteren Spielverlauf nimmt Heinrich auch an grossen und genial inszenierten Schlachten teil
Quelle: Games.ch
«Kingdom Come: Deliverance» legt starken Wert auf die Darstellung seiner Spielwelt, ihrer Bewohner und der Quests. Die Menschen besitzen Tagesabläufe und so wirkt etwa die Stadt Rattay um die Mittagszeit herrlich belebt. Allerdings nimmt sich das Spiel auch seine Zeit. Bestimmte Aufgaben sind an die Rituale der Bewohner gebunden und so gehört ein Blick auf die Uhr zum Alltag des Rollenspiels.
Heinrich sieht auch in einem Benediktinerkloster nach dem Rechten
Quelle: Games.ch
Dazu besitzt Heinrich Bedürfnisse: Er muss regelmässig essen, schlafen und sich waschen. Ansonsten wird er müde oder büsst an Ausdauer und Lebensenergie ein. Verbindet man Verletzungen nicht, verblutet der Gute gar. In «Kingdom Come: Deliverance» gilt es, auf all diese Details zu achten. Das Spiel gibt sich kleingliedriger und wartet zudem mit weit weniger Action auf als viele seiner Konkurrenten. Schliesslich ist Heinrich auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Unbequem anders sowie Kampf und Charakter

Unbequem anders

Kurz nach seiner Beförderung zur Wache erhält Heinrich sein erstes Pferd
Quelle: Games.ch
«Kingdom Come: Deliverance» opfert viele Komfortfunktionen seinem eigenen Anspruch. Konkrete Wegmarkierungen gibt es selten. Stattdessen zeigt das Spiel lediglich ein grobes Zielgebiet an. Dadurch kommt es schon mal vor, dass man vor dem Kampf mit Banditen 30 Minuten durch den Wald rennt und deren Lager sucht. Zugleich aber schenkt das Rollenspiel auch viele Entscheidungsmöglichkeiten. Der Kampf erweist sich nicht immer als klügste Alternative: Redekunst oder das Ausnutzen der Tagesabläufe bringen einen oftmals schneller voran. Besagte Räuber etwa überrascht Heinrich im Schlaf oder benachrichtigt zunächst die Kameraden der Wache, um danach gemeinsam zu kämpfen.
Warhorse baut viele Adventure-Elemente in die Quests und die toll synchronisierten Dialoge ein. Viele Aufgaben basieren auf kleineren Detektivrätseln und binden sowohl die Personen als auch die Spielwelt wunderbar ein. «Kingdom Come: Deliverance» trödelt gelegentlich aber auch und verschleppt dadurch dramatische Momente oder nervt gar mit zu vielen Zwischenschritten innerhalb der Quests. Das wird nicht jedem gefallen, doch wer sich drauf einlässt, wird mit spannenden und lustigen Anekdoten belohnt.

Kampf und Charakter

Die Jagd ist nur den Adeligen erlaubt
Quelle: Games.ch
Dass manch einer vielleicht lieber auf Heinrichs Redekunst setzt, liegt nicht zuletzt an dem unhandlichen Kampfsystem. Warhorse lehnt sich leicht an «For Honor» an und verknüpft Richtungstasten mit starken und schwachen Angriffen sowie Paraden und Ausweichbewegungen mit einander. Durch die Ego-Perspektive und die Wackelkamera sind die Auseinandersetzungen sehr unübersichtlich. Dazu wechselt die Zielerfassung bei mehreren Gegnern viel zu oft. Kurzum: Die Kämpfe machen keinen Spass und aufgrund des dialoglastigen Gameplays trainiert man viel zu selten, als dass sich dieses Problem innerhalb der 50 Stunden ändern würde.
Die Innenräume von «Kingdom Come: Deliverance» sehen wirklich hübsch aus.
Quelle: Games.ch
Charakter-Upgrades wiederum nimmt Heinrich im Vorbeilaufen mit. Alle Aktionen haben Einfluss auf die eigene Spielfigur. Wer viel redet, überzeugt leichter andere Bewohner. Zudem kann Heinrich bei Spezialisten in die Lehre gehen und so zusätzliche Fähigkeiten wie etwa Alchemie zum Brauen von Tränken erlernen. Echte Spezialisierungen gibt es in «Kingdom Come: Deliverance» allerdings nicht und so muss jeder für sich selbst entscheiden, welche Talente – etwa Bogenschiessen oder Reiten – besonders wichtig sind.

Die liebe Technik und Fazit

Die liebe Technik

Warhorse versorgt «Kingdom Come: Deliverance» bereits zum Start mit zwei insgesamt 30 Gigabyte starken Patches. Diese beheben zwar gröbste Probleme wie allzu lange Ladezeiten, trotzdem ist das Spiel noch lange nicht perfekt. Weiterhin stören häufige Schwarzblenden und Ladebildschirme den Spielfluss. Immer wieder beobachtet man NPCs, die in einander laufen. Auch laden die Texturen – egal, ob auf PC oder Konsole – zu spät nach. Gelegentlich verschwinden Figuren gar komplett. Die Navigation innerhalb der offenen Spielwelt hakt und speziell bei Höhenunterschieden kapituliert die Steuerung immer wieder. In Dialogen wiederholen sich gelegentlich Zeilen und nicht immer sind die Reaktionen der Bewohner absolut nachvollziehbar.
Bei der Stadtwache von Rattay verdient sich Heinrich seine erste Sporen
Quelle: Games.ch
Gerade letzteres Problem wird in Verbindung mit dem Speichersystem zum Frustfaktor. «Kingdom Come: Deliverance» koppelt das Schnellspeichern an den so genannten Retterschnaps. Nur wer diesen im Inventar hat, darf das Spiel frei sichern. Ansonsten muss die Autosave-Funktion oder eine Übernachtung in der Herberge herhalten. Das Problem: Retterschnäpse sind gerade zu Beginn viel zu teuer. Das führt zwar dazu, dass man mit mehr Bedacht vorgeht, sorgt aber auch für Ärger wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Nicht selten schleudert einen «Kingdom Come: Deliverance» um 20 oder mehr Minuten zurück und das trübt den Spielspass gewaltig.

Fazit: Sperrig, aber spannend

«Kingdom Come: Deliverance» ist kein neues «The Witcher 3: Wild Hunt» oder «The Elder Scrolls V: Skyrim». Es ist eigentlich das exakte Gegenteil.
Entwickler Warhorse legt den Fokus auf die Quests, auf das Erlernen der Regeln der gigantischen Spielwelt und auf die Adventure-Elemente des Rollenspiels. Kämpfe sind der letzte Ausweg, Looten nur eine Randnotiz. Stattdessen lassen sich Spieler in das Mittelalter-Szenario fallen, und in seinen besten Momenten liefert das Abenteuer tolle Momente. Allerdings erkauft sich Warhorse diese auch mit einigen Kompromissen. Das Speichersystem macht es Einsteigern unnötig schwer, die Kämpfe wirken sperrig und dazu erschweren viele kleine Programmfehler noch den frustfreien Spielfortschritt. «Kingdom Come: Deliverance» geht einen gänzlich anderen Weg als viele Rollenspiele zuvor, gerät aufgrund der eigenen Ansprüche aber auch immer wieder ins Straucheln.
Positiv: interessante Spielwelt, stets mehrere Lösungswege, extrem vielschichtig, grosser Umfang
Negativ: unnötig schwieriges Speichersystem, viele kleine Fehler, unhandliche Kämpfe
Details: authentisches Rollenspiel mit starkem Quest-Fokus.
Strassenpreis: Fr. 52.90 (PC), Fr. 59.90 (Konsole)
Info: store.steampowered.com/app/379430/Kingdom_Come_Deliverance/



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