VR, AR und MR
02.12.2016, 12:03 Uhr
Virtuelle Welten schaffen neue Geschäftsmodelle
Virtual Reality und Augmented Reality werden viele Prozesse in Unternehmen verändern und effizienter machen. Ob nun in der Logistik, im Bereich Service, Wartung und Support oder in der Fertigung.
Augmented Reality (AR), also die Vermischung realer und computergenerierter Welten, ist seit diesem Sommer ein Massenphänomen – und Schuld daran ist Pokémon Go. Das Smartphone-Spiel blendet Fantasiewesen aus der Pokémon-Welt in die reale Umgebung des Spielers ein. Am 6. Juli offiziell gestartet, verzeichnete die AR-App bereits am 12. Juli 21 Millionen aktive Nutzer allein in den USA. In Deutschland wurde Pokémon Go nach Angaben der Online-Umfrageplattform YouGov 7,7 Millionen mal heruntergeladen.
Augmented Reality ist nur ein Aspekt in einem als „Mixed Reality“ bezeichneten Kontinuum. Die Forscher Paul Milgram und Fumio Kishino prägten diesen Begriff bereits in den 1990er-Jahren. Ist die Umgebung weitgehend virtuell, sprechen Milgram und Kishino von einer „Augmented Virtuality“, die mit zunehmendem Verlust von realen Bezügen schliesslich in eine komplett virtuelle Welt, die „Virtual Reality“, übergeht.
Neue Kunden, neue Umsatzströme
Augmented, Mixed und Virtual Reality erschliessen der Unterhaltungsindustrie neue Kundengruppen und Umsatzströme. Die neuen Welten bieten jedoch auch Handel und Industrie vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Laut der Studie „Head Mounted Displays in deutschen Unternehmen“ lassen sich für diese Technologien Verwendungszwecke im Marketing, der Produktpräsentation, in der Logistik, für Schulungen, Wartung und Reparatur, aber auch in der Kommunikation und im Design finden. Erstellt wurde die Untersuchung von der Unternehmensberatung Deloitte, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) und dem Digitalverband Bitkom.
“„AR und VR werden für Unternehmen des digitalen Zeitalters zu wichtigen Schlüsseltechnologien werden.“„
„Es gibt eine ganze Reihe vielversprechender Szenarien“, sagt Timm Lutter, Bereichsleiter Consumer Electronics & Digital Media bei Bitkom und Co-Autor der Studie. Alle Bereiche seien davon betroffen, so Lutter weiter: „Das beginnt bei der Planung zukünftiger Gebäude, geht über die Ausbildung von Ärzten und Piloten bis hin zum Einsatz in der Trauma- oder Angstherapie.“
Entsprechend gross schätzen die Autoren das Marktpotenzial ein. Bei jährlichen Zuwachsraten von 37 Prozent sollen die Umsätze, die im B2B-Bereich in Deutschland mit Virtual, Mixed und Augmented Reality erwirtschaftet werden, bis 2020 auf über 840 Millionen Euro steigen. „Der überwiegende Teil der Wertschöpfung entfällt auf die Lösungen, dagegen macht die für die Umsetzung notwendige Hardware,
also vor allem Brillen und Eingabegeräte, nur etwas über
10 Prozent der Gesamtumsätze aus“, sagt Lutter.
also vor allem Brillen und Eingabegeräte, nur etwas über
10 Prozent der Gesamtumsätze aus“, sagt Lutter.
“„Der überwiegende Teil der Wertschöpfung liegt in den Lösungen.“„
Andere Analysen bestätigen diesen Trend. Für den gesamten deutschen Markt, inklusive der Consumer-Sparte, könnte der Umsatz laut Deloitte bis 2020 allein im Bereich Virtual Reality auf mehr als eine Milliarde Euro wachsen. Nach Angaben des Statistikportals Statista sagt der AR-/VR-Spezialist KZero bis 2018 ein weltweites Umsatzwachstum bei VR-Hard- und -Software auf neun Milliarden Dollar vorher. Die Nutzerzahlen sollen sich bis zu diesem Zeitpunkt auf über 170 Millionen belaufen. Die Analysten von Digi-Capital glauben sogar, dass die Umsätze mit AR und VR bis 2020 auf weltweit 120 Milliarden Dollar hochschnellen werden.
Auch grosse Unternehmen messen dem Thema zunehmend Bedeutung zu, wie die Übernahmen der vergangenen Jahre zeigen. So verleibte sich Apple 2015 den Münchner AR-Spezialisten Metaio ein, der unter anderem den „Lego AR Kiosk“ entwickelt und den Ikea-Katalog mit Augmented-Reality-Elementen angereichert hatte.
Und Mark Zuckerberg übernahm bereits 2014 Oculus VR. Anders als beim Apple-Metaio-Deal ist der Kaufpreis bekannt: Rund zwei Milliarden Dollar legte der Facebook-Chef für den Hersteller der VR-Brille „Oculus Rift“ auf den Tisch. Deutlich günstiger gestaltete sich der Einstieg für PTC, Anbieter der IoT-Plattform „ThingWorx“, im Oktober vergangenen Jahres. Für die AR-Plattform „Vuforia“ musste er „nur“ 65 Millionen Dollar an deren bisherige Muttergesellschaft Qualcomm überweisen.
Selbst Reifenhersteller Continental kaufte sich in das Innovationsthema ein. Das Unternehmen übernahm im Juli 2015 die Elektrobit Automotive Group, die nun als einenständige Tochter unter anderem AR-Lösungen für den Mutterkonzern entwickeln soll.
AR-Entwicklung rast voran
Angesichts der positiven Marktaussichten und der Übernahmechancen ist es kein Wunder, dass Hardware-Hersteller und Software-Anbieter fleissig an neuen Produkten und Lösungen arbeiten. „Die technischen Entwicklungen in den beiden Bereichen machen grosse Sprünge“, sagt Stefan Klein, bei der HWF Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung/nextMedia.Hamburg mit den Themen Augmented und Virtual Reality beschäftigt.
„Die Abbildungsqualität wird immer besser, genauso wie die Hardware in Sachen Rechenleistung.“ Markus Ambrus, Gesellschafter der auf AR spezialisierten Full-Service-Agentur Augmented Minds, sieht vor allem im Bereich AR-Software grosse Fortschritte: „Technologien, die in den vergangenen drei Jahren noch Forschungscharakter hatten, werden nun als robustere Lösung verfügbar und ermöglichen uns teilweise, von vorgelernten Mustern auf dynamisch gelernte, räumliche Strukturen umzusteigen.“
Auch die Hardware werde besser: „Wo man sich die letzten Jahre noch über die Verfügbarkeit von leistungsstarken Smartphones und Tablets freute, setzt man heute auf speziell für AR-Anwendungen entwickelte Endgeräte in Form von Smart Glasses – also Head-Mounted Displays mit See-Through-Verfahren.“
Auf industrielle Anwendungen für solche Durchsichtbrillen wie „Google Glass“, „Vuzix M100“ oder „Epson Moverio“ hat sich das Bremer Unternehmen Ubimax spezialisiert. Die Angebotspalette reicht von der Logistik über die Fertigung bis hin zu Qualitätssicherung, Wartung und Service. „Mit unseren Wearable-Computing-Lösungen bilden wir die ganze industrielle Wertschöpfungskette ab“, sagt Leonid
Poliakov, Head of Marketing bei Ubimax. Das Interesse an den Lösungen sei enorm. „Wir sind sehr gut ausgelastet.“
Poliakov, Head of Marketing bei Ubimax. Das Interesse an den Lösungen sei enorm. „Wir sind sehr gut ausgelastet.“
“„AR und VR sind Innovationsthemen, bei denen man nicht sofortige Gewinne ohne Risiko erwarten sollte.“„
Ein Head-Mounted Display (HMD), das viel Aufsehen verursacht hat, ist die „HoloLens“ von Microsoft. Die knapp 600 Gramm schwere Brille ist ein eigenständiger Windows-10-Computer, zahlreiche Sensoren und Kameras registrieren die Umgebung und messen die Bewegungen des Trägers. Auf Basis dieser Informationen stellt die Brille die Umgebung als Hologramm dar, in dem der Anwender virtuelle Gegenstände, Apps oder Dokumente beliebig platzieren kann. „Durch das Einblenden von Hologrammen in die reale Welt kann sich der Benutzer frei im Raum bewegen, ohne zum Beispiel durch Kabel im Bewegungsradius eingeschränkt zu werden“, erklärt Michael Zawrel, Senior Product Marketing Manager Devices bei Microsoft, das Prinzip.
Obwohl bereits im Januar 2015 vorgestellt, gab es das HMD bisher nur in den USA und Kanada zu kaufen. Seit Kurzem ist es aber auch in europäischen Ländern erhältlich, so zum Beispiel in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Der Einstieg in die HoloLens-Welt ist allerdings nicht ganz billig. Der empfohlene Verkaufspreis für die Developer Edition liegt bei knapp 3300 Euro, die Commercial Suite, die zusätzliche Features für Sicherheit und Gerätemanagement enthält, schlägt mit rund 5400 Euro zu Buche.
Diese Preise zeigen schon, dass die Brille nicht für Endkunden, sondern für gewerbliche Anwender konzipiert ist. Erste Beispiele für industrielle Anwendungen gibt es bereits. So setzt etwa der Aufzughersteller thyssenkrupp Elevator die Brille für Wartungszwecke ein. Die mehr als 24.000 Service-Mitarbeiter des Unternehmens sollen über die HoloLens bereits vor der Fahrt zum Kunden die spezifischen Kenndaten eines zu wartenden Aufzugs visualisieren, sich vor Ort technische Informationen einblenden lassen und sich notfalls per Live-Videozuschaltung Unterstützung von einem Experten holen können.
Die Arbeit der Service-Techniker soll dadurch bis zu viermal schneller von der Hand gehen. „Unser Ziel ist es, die Effizienz zu steigern, die Verfügbarkeit unserer Aufzüge zu erhöhen und unseren Service so zu optimieren, dass die Technik der Aufzüge stets optimal funktioniert“, sagt Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender der thyssenkrupp Elevator AG.
Jetzt ist Zeit für den Einstieg
Anders als thyssenkrupp warten viele Unternehmen noch ab und beobachten zunächst die technische Entwicklung in den Bereichen Augmented, Mixed und Virtual Reality – ein Fehler, wie Markus Ambrus von Augmented Minds findet: „Ich bin davon überzeugt, dass die Themen AR und VR für Unternehmen des digitalen Zeitalters zu wichtigen Schlüsseltechnologien werden und somit schon jetzt Handlungsbedarf besteht.“
Das Potenzial von Augmented und Virtual Reality für Business-Anwendungen sei nicht zu unterschätzen, bestätigt Stefan Klein von der HWF: „Viele Experten prognostizieren, dass VR und AR eine ähnlich grosse Auswirkung auf unsere Gesellschaft haben werden, wie sie das Internet oder das Smartphone hatten.“
Wolfgang Stelzle, Gründer und CEO der Re’flekt GmbH, die interaktive und immersive Lösungen für Augmented und Virtual Reality entwickelt, rät Unternehmen deshalb, möglichst schnell mit konkreten Projekten zu beginnen: „Nur dadurch kann man die Möglichkeiten entdecken und gleichzeitig auch lernen, worauf es ankommt.“
“„Unternehmen müssen in der Lage sein, ihren eigenen Content für AR und VR zu produzieren.“„
Oft scheuen die Unternehmen Investitionen, weil sie den wirtschaftlichen Vorteil einer AR- oder VR-Lösung nicht sofort erkennen können. Leonid Poliakov hält dies zumindest ein Stück weit für den falschen Ansatz: „AR und VR sind Innovationsthemen, bei denen man nicht sofortige Gewinne ohne Risiko erwarten sollte.“
Mangelnde Innovationsfreude könnte sich nach Ansicht von Augmented-Minds-Chef Ambrus als grösstes Hindernis herausstellen. „Es gibt viele geniale Köpfe auf unserer Welt und ich bin zuversichtlich, dass sämtliche Hürden seitens der Technologie früher oder später genommen werden. Nicht sicher bin ich mir jedoch bei der Frage, ob die breite Masse der Endkunden und auch Entscheider in Firmen mit der Geschwindigkeit, mit der Technologien und deren Innovationen voranschreiten, mithalten können.“ Poliakov ist da weniger skeptisch: „Die Frage ist nicht mehr, ob Augmented und Virtual Reality in den Unternehmen Einzug halten, sondern nur noch wann.“
VR-Brillen im Einsatz
Ein preisgünstiger Einstieg in das Thema Virtual Reality sind beispielsweise Brillen aus Pappe, wie sie Google mit der „Cardboard“ anbietet. Sie kosten nur wenige Euro oder lassen sich sogar selbst herstellen. In Kombination mit einem Smartphone und passenden Apps bieten sie die Möglichkeit, in VR-Welten einzutauchen. Im Marketing sind diese Pappbrillen bereits sehr beliebt, da sie vergleichsweise geringe Kosten verursachen und sich zusammengefaltet leicht verschicken lassen.
Google selbst hat seit Kurzem mit „Daydream View“ eine komfortablere Alternative zur Cardboard im Angebot. Zum Lieferumfang gehört ein drahtloser Controller, über den der Nutzer mit der virtuellen Welt interagieren kann, indem er beispielsweise auf einen von zwei Köpfen drückt oder den Controller im Raum bewegt. Unterstützt wird die Brille allerdings nur von Daydream-kompatiblen Smartphones mit Android-Betriebssystem ab Version 7.1. Derzeit sind das lediglich die Google-eigenen Smartphones „Pixel“ und „Pixel XL“. Zu den ersten App-Partnern gehören unter anderen Nachrichtenportale wie New York Times und Wall Street Journal und Unterhaltungsplattformen wie Hulu, Netflix oder HBO.
Ebenfalls recht komfortabel zu tragen ist die „Samsung
Gear VR“, die in der aktuellen Version mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 99 Euro angeboten wird. „Damit unterschreiten wir die kaufpsychologisch wichtige Marke von 100 Euro“, sagt Philipp Schlegel, Junior Product Manager, IM Product Marketing bei der Samsung Electronics GmbH.
Gear VR“, die in der aktuellen Version mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 99 Euro angeboten wird. „Damit unterschreiten wir die kaufpsychologisch wichtige Marke von 100 Euro“, sagt Philipp Schlegel, Junior Product Manager, IM Product Marketing bei der Samsung Electronics GmbH.
Schon heute werde Virtual Reality in Vergnügungsparks, im Tourismus oder in der Automobilbranche im Regelbetrieb eingesetzt, viele andere Branchen testeten den Einsatz. „Virtual Reality wird in den kommenden Jahren vieles grundlegend verändern“, ist sich Schlegel sicher.
AR- und VR-Inhalte selbst erstellen
Das grösste Hindernis auf dem Weg zu eigenen Augmented- beziehungsweise Virtual-Reality-Lösungen besteht derzeit noch in der Art und Weise, wie Inhalte produziert werden, erklärt Re’flekt-CEO Stelzle: „Bislang liegt das meist in den Händen von Spezialisten oder Agenturen – obwohl der Content bei den meisten Firmen vorhanden ist.“ Die Produktion sei teuer und aufwendig, was viele potenzielle Anwender abschrecke. „Unternehmen müssen in der Lage sein, ihren eigenen Content für AR und VR zu produzieren – wie bei Videos oder Websites.“
Zumindest der reale Teil lässt sich mit sogenanten Kugelpanoramen oder 360-Grad-Videos auf die Brille bringen. Darunter versteht man Aufnahmen, die den kompletten Bildkreis von 360 Grad sowohl in der Horizontalen als auch in der Senkrechten abdecken. In eine Virtual-Reality-Brille projiziert, kann sich der Anwender im auf diese Weise abgebildeten Raum in allen Richtungen umsehen, als ob er selbst dort wäre.
Aufnahmegeräte dafür, etwa die „360 Cam“ von LG, die „Theta S“ von Ricoh oder die „Samsung Gear 360“ gibt es schon für wenige Hundert Euro.
„Hochwertigen 360-Grad-Content zu produzieren wird immer einfacher und kostengünstiger“, sagt Philipp Schlegel von Samsung. Sinkende Preise für Brillen und für Kameras dürften VR endgültig aus der Nische holen. „Je grösser die Breitenwirkung, desto interessanter wird VR für alle Branchen.“
Fazit
Augmented Reality wird viele Prozesse in Unternehmen verändern und effizienter machen. Ob in der Logistik, im Bereich Service, Wartung und Support oder in der Fertigung – die Vorteile liegen auf der Hand. Statt in Katalogen und Ersatzteillisten zu blättern oder dicke Handbücher zu wälzen, lassen sich Lagermitarbeiter und Techniker relevante Informationen einfach in ihre smarte Brille einblenden.
Selbst die Briefzustellung soll davon profitieren, wenn es nach Post-Chef Frank Appel geht. Ortsfremde Zusteller, die für einen Kollegen einspringen müssen, könnten Briefkästen oder Hausnummern viel leichter finden, wenn lokale Zusatzinformationen in ihre Datenbrille eingespiegelt würden, so seine Vision.
Von Virtual Reality profitieren vor allem Planung, Schulung, Marketing und Vertrieb. Ob ein neues Auto, ein Haus, ein Schiff oder eine Produktionshalle: Potenzielle Käufer und Bauherrn können über Virtual Reality das Produkt ihrer Wahl intensiv erfahren, was neben einer stärkeren Emotionalisierung auch viele praktische Vorteile mit sich bringt.
So lassen sich beispielsweise Konstruktionsmängel oder unpraktische Details, etwa Türen und Fenster an ungünstigen Stellen, schon im 3D-Modell und nicht erst im Rohbau erkennen.
Wer weiss, vielleicht wäre der BER ja schon fertig – oder womöglich gar nicht erst gebaut worden –, hätten sich die Planer zuvor in einem 3D-Modell des Flughafens umsehen können.