Werbemöglichkeiten bei Netflix und Co 02.11.2019, 10:32 Uhr

Streaming-Dienste: Alles werbefrei oder was?

Den klassischen TV-Sendern kommen die jungen Menschen abhanden, was Advertiser vor ein Problem stellt. Werbung auf Streaming-Diensten könnte diese Lücke füllen. Doch Anzeigenplätze sind dort rar.
(Quelle: shutterstock.com/kentoh)
Nun also auch Apple und Disney: Seit wenigen Wochen mischen zwei neue Giganten im "War of Streaming" mit. Apple TV+ ist seit 1. November in Deutschland abrufbar - für einen monatlichen Abo-Preis von 4,99 Euro.
Am 12. November ist in den USA auch Disney+ gestartet, der Video-on-demand-Dienst des Disney-Konzerns. Für 6,99 US-Dollar im Monat kann der User auf Filme und Serien aus dem Imperium des Unterhaltungskonzerns zugreifen, zu dem Zeichentrickklassiker ebenso gehören wie die Star-Wars-Saga. Am 31. März 2020 soll Disney dann auch in Deutschland loslegen.

Entstanden ist ein grosses Bewegtbild-Imperium

Mit den beiden neuen Playern wird die Streaming-Landschaft kräftig durchgerüttelt. Bislang haben Netflix und Amazon mit ihren Angeboten die etablierten TV-Sender vor sich hergetrieben. Jetzt werden sie selbst zu Gejagten. Rund 5,3 Millionen zahlende Abonnenten hat Netflix in Deutschland.
Von Amazon gibt es keine offiziellen Zahlen. Schätzungen gehen ­jedoch davon aus, dass es hierzulande 17 Millionen Amazon-Prime-Abos gibt, bei denen der Zugriff auf den Streaming-Dienst inbegriffen ist. Addiert man die Nutzer von Angeboten wie Sky Ticket, Dazn oder Magenta TV (Deutsche Telekom) hinzu, wird schnell klar, dass abseits der klassischen linearen TV-Landschaft ein gewaltiges Bewegtbild-Imperium mit Millionen von Nutzern entstanden ist.  
Was aus Sicht der Zuschauer eine Bereicherung darstellt, ist aus der Perspektive der Werbungtreibenden eine eher schmerz­liche Entwicklung. Denn ob Netflix, Amazon, Magenta TV oder Disney+: Sie alle sind werbefrei. Auch Apple kündigt seinen neuen Dienst Apple TV+ mit dem Hinweis "Jeden Monat neue Apple Originals. Ohne Werbung" an. 

"Die Einspieler gehen mir gehörig auf den Senkel"

Problematisch ist dies für die Werbungtreibenden deshalb, weil ihnen im klassischen linearen TV wertvolle Zielgruppen abhanden kommen. Vor allem unter jüngeren Menschen ist in den vergangenen Jahren die Bereitschaft deutlich gesunken, sich vor den Fernseher zu setzen und ­abzuwarten, was ihnen die Programm­macher dort präsentieren. Sie wenden sich in Scharen den Streaming-Diensten zu.
"Es findet eine Verlagerung statt“, sagt ­Katharina Wildau, Team Lead Digital Consulting bei der JOM Group: "Wenn ich vor fünf oder zehn Jahren eine bestimmte Reichweite haben wollte, dann ging das über das klassisches TV only. Heute brauche ich bei bestimmten Zielgruppen einen Streaming-Anteil von 30 bis 40 Prozent."
Seit 18. Juni am Start: der Streaming-Dienst Joyn
Quelle: Joyn
Ein Entwicklung, die Kollegin Andrea Zenner, Managing Partner Client Service bei der Agentur Mediacom, bestätigt. Über Werbung in Streaming-Diensten könne man jüngere Zielgruppen ansprechen, die im TV nur noch selektiv unterwegs seien. Darunter viele Jungs. "Die Zielgruppe der jungen Männer weist den höchsten Anteil an Streaming-Nutzung auf“, so Anja Liebig, Leiterin integrierte Mediastrategie Audiovisuelle Kommunikation bei der Agentur Pilot. 
Das Problem ist nur: Die Möglichkeiten, die jüngeren Zielgruppen im Umfeld der Streaming-Dienste anzusprechen, sind äusserst begrenzt, da die grossen Plattformen wie Netflix oder Amazon werbefrei sind. Weiteres Problem: Die Zuschauer ­reagieren höchst genervt, wenn sie als zahlender Abonnent irgendwie werblich kontaktiert werden. Amazon kann ein Lied davon singen. Schon die Trailer, die zwischen den Serien und Filmen auf andere Produktionen hinweisen, regen so manchen Zuschauer auf. Typische Äusserung in den Foren: "Mir gehen diese Einspieler gehörig auf den Senkel.“

Durex verschenkt Amazon-Mitgliedschaften

Werbungtreibenden bleibt also vor allem die Präsenz bei Streaming-Diensten, die ausdrücklich Werbung vorsehen. Dazu zählt der Live-Sport-Streaming-Anbieter Dazn. Hier sind Pre-Roll-Formate möglich, die nationale Werbungtreibende wie Heineken oder Nissan nutzen. Sportübertragungen werden bislang noch nicht unterbrochen. "Unterbrecher und Splitscreen-Werbung wird es vorerst weiterhin nicht ­geben, um die zahlenden Nutzer nicht zu verärgern", so Anja Liebig von Pilot. Bei Dazn wollte sich dazu niemand äussern.
Quelle: Roland Berger, Uni Münster, Statista
Auch die Streaming-Ableger der grossen privaten Sendergruppen bieten sich an. Im Juni startete Pro Sieben Sat.1 mit Discovery den kostenfreien Streaming-Dienst Joyn, in der Hoffnung, die schwindenden jüngeren Zielgruppen an ihre Angebote zu binden. Joyn bietet ein breites Portfolio an ­digitalen Werbeformen. "Die klassischen Sender sind gerade dabei, ihre Modelle neu auszurichten", kommentiert Roland Köster, Managing Director der JOM Group, diese Entwicklung. "Die Modelle, die sie vorher hatten, dümpelten ein wenig herum und lagen bei der Nutzung deutlich hinter Netflix, Amazon und Sky. Da gehen sie jetzt dagegen an."
Auch bei den eigentlich werbefreien Platzhirschen wie Netflix und Amazon bestehen einige handverlesene Möglichkeiten, werblich präsent zu sein. Beispielsweise über Produktplatzierungen innerhalb der Serien, was allerdings einen ­langen zeitlichen Vorlauf erfordert. Bei Amazon Prime kann man zudem auf den Zugangsseiten wie dem Fire TV Stick ein Banner buchen. Von dort kann der User auf eine Produktseite weitergeleitet werden - der Spielwarenhersteller Zapf ­machte davon beispielsweise Gebrauch. Auch über den Homescreen bei der Öffnung der Amazon-App ist eine werbliche Präsenz möglich. Der Kondomhersteller Durex wiederum verschenkte an jüngere Zielgruppen eine Jahresmitgliedschaft von Amazon Prime und nutzte damit höchst kreativ das Umfeld.

Netflix eröffnet Büro in Berlin 

Viel ist das aber alles nicht, die Nach­frage der Kunden ist deutlich grösser. "Es kämpfen alle um die guten Flächen", sagt Roland Köster. "Zu wünschen wäre deshalb schon, dass man sich bei Netflix ­irgendeine Idee oder Lösung einfallen lässt, wie man Werbung integrieren ­könnte. Irgendwann werden sich die Streaming-Dienste annähern. Sie wissen ja auch, was da für Werbegelder schlummern."
Möglicherweise sind auch die Zuschauer bereit dafür Werbung zu akzeptieren. Immerhin stehen sie mittlerweile vor dem Problem, ein ganzes Bündel an Streaming-Abos abschliessen zu müssen, wen sie die besten Formate sehen wollen. Nach einer Umfrage des Technologieunternehmens The Trade Desk würde die Hälfte der Befragten Werbung unter Umständen akzeptieren, wenn der Streamingdienst damit günstiger oder gar kostenlos wäre.
Experten hoffen deshalb, dass es dort schon bald schon buchbare Bewegtbildformate geben könnte. Denn, so Andrea Zenner: "Bewegtbildflächen im Netz sind ein rares Gut." Netflix selbst äussert sich hierzu nicht. Aber immerhin nähert man sich dem deutschen Markt an. In diesen Tagen wird in Berlin ein Office eröffnet. Bislang wurden die Geschäfte von Amsterdam aus geführt.



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