Motivation statt Verbot
31.10.2016, 12:03 Uhr
Bessere Social Media Guidelines für Unternehmen
Im Umgang mit Social Media setzen viele Unternehmen nach wie vor auf Verbote. Richtiger wäre es, die Mitarbeiter zu schulen - und somit als Botschafter zu gewinnen.
Das Ziel von Social Media Guidelines: ein Netzwerk an Markenbotschaftern aufbauen.
(Quelle: Fotolia.com/Apinan)
Von Raoul Fischer
Eigentlich genügt eine Grundregel und die lautet: Gehirn einschalten! Nach diesem einfachen Prinzip wurden etwa die Social Media Guidelines bei Voith Industrial Services entwickelt. Der Industriedienstleister hat vor wenigen Jahren soziale Netzwerke und Messenger für die Kommunikation erschlossen. "Unsere Guidelines basieren im Wesentlichen auf zwei Prinzipien", erklärt Michael Witt, Teamleiter Recruiting bei dem Unternehmen: mitdenken und nichts veröffentlichen, was man privat nicht auch guten Gewissens posten könnte.
Zehn Punkte umfassen die Voith-Richtlinien für den Umgang mit dem Social Web, Restriktionen gibt es laut Witt nur wenige. Bisher seien vor allem Recruiter für Voith im Social Web unterwegs, die dafür geschult wurden. Das könnte sich ändern, wenn Smartphones und Apps auch im Arbeitsalltag anderer Mitarbeiter des Service-Unternehmens - von denen viele bisher keinen eigenen Computer brauchen - eine wichtigere Rolle spielen.
Social Web in der Unternehmenskommunikation angekommen
Zehn Jahre nach der Gründung von Twitter ist das Social Web in der Unternehmenskommunikation angekommen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Marketing DIM nutzten im Frühjahr 2016 von über 500 befragten Kommunikationsprofis in Deutschland 90,1 Prozent regelmässig oder gelegentlich Facebook, Twitter & Co. für die Unternehmenskommunikation. Zum Vergleich: 2012 waren es noch - aber immerhin schon - 68,9 Prozent. Die Zahl unterstreicht das rasante Wachstum. Allein Facebook verzeichnet derzeit 1,7 Milliarden Mitglieder, die jeden Monat auf der Plattform aktiv sind. Kein Wunder, dass der Grossteil aller Unternehmen weltweit Zuckerbergs Netzwerk aktiv nutzt. Bedeutet das, dass die Firmen reifer geworden sind im Umgang mit dem Social Web?
Ein Blick auf die Social Media Guidelines soll Klarheit verschaffen. Das sind Verhaltensregeln, die die berufliche Nutzung sozialer Netzwerke in einem Unternehmen regeln. Die Experten sind sich jedoch keineswegs einig, ob die Unternehmen heute reifer mit diesem Thema umgehen.
Verinnerlichung von Werten statt Kontrollkultur
Dreh- und Angelpunkt ist die Unternehmenskultur. Zu Beginn des Social Media Hypes hatten die Unternehmen vor allem zwei Ziele: den Umgang kontrollieren und im Zweifel verhindern. In vielen Firmen waren Facebook und Co. während der Arbeitszeit tabu. Aktivitäten waren nur ausgewählten Mitarbeitern erlaubt, die sich streng an meist umfangreiche Guidelines halten mussten.
Das hat sich geändert. "Zum Glück haben die meisten Entscheider eingesehen, dass Kommunikationsverbote nicht wirklich funktionieren und eher das Misstrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern ausdrücken", sagt der Kommunikationsexperte und Gründer von D Tales, Klaus Eck. Eine Kontrollkultur sei bei Weitem nicht so effizient wie das Verinnerlichen von Werten und Normen. "Gute Social Media Guidelines verbieten deshalb nichts, sondern appellieren an die Einsicht", so Eck. Gehirn einschalten, also.
Ben Ellermann, erster Vorsitzender des Bundesverbands Community Management (ausführliches Interview auf Seite 2), ist da weniger euphorisch. Er sieht kaum Entwicklung bei den Social Media Guidelines. "Die Tendenz ist zwar da, aber der Aspekt des Förderns kommt immer noch zu kurz", erklärt er. Ellermann, im Hauptberuf Leiter Digitalisierung bei Talanx Systeme in Hannover, sieht gerade mit Blick auf die Motivation und Förderung der Mitarbeiter in Sachen Social-Media-Kommunikation noch gewaltigen Nachholbedarf. "Da sind wir eigentlich noch nicht weiter als zu Beginn", sagt er.
Dabei sind prinzipiell zwei Bereiche zu unterscheiden. Der Erste betrifft die offizielle Kommunikation auf den Social-Media-Kanälen des Unternehmens. Hier liegt die Zuständigkeit klar bei der Unternehmenskommunikation. Die Guidelines geben den Korridor vor, in dem sich Community oder Social-Media-Manager bewegen. Viel heikler wird es, wenn Mitarbeiter auf ihren privaten Profilen auf Facebook, Twitter und Co. über Themen aus ihrem Arbeitsalltag oder Unternehmensbelange schreiben.
Social Media Guidelines geben auch hier den Mitarbeitern einen Rahmen vor für den Austausch über das eigene Unternehmen in Blogs, Foren oder sozialen Netzwerken. "Inhaltlich lassen sich mehr Anregungen oder Bitten um Einhaltung der Unternehmenswerte platzieren. Deutlicher formuliert werden kann der Hinweis darauf, den Absender klarzustellen, stets für sich selbst zu sprechen und nicht als Abgesandter des Unternehmens", erklärt Michael Koch, stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Social Media im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Was laut Koch nicht geht: "Würde man den Mitarbeitern gegenüber eindeutige Vorgaben zur Kommunikation formulieren, wäre es ein Eingriff in die Privatsphäre".
Vorbilder für den eigenen Reifeprozess
Dabei sollte inzwischen angekommen sein, dass Unternehmen gerade von privaten Posts profitieren können. Ein Beispiel der Deutschen Telekom zeigt, wie das gefördert werden kann. Der Telekommunikationskonzern hat an verschiedenen Standorten - zum Beispiel in Kantinen - sogenannte Social Walls eingerichtet.
Das sind Bildschirme, auf denen gezeigt wird, was Mitarbeiter - vom Auszubildenden bis zum Vorstand - unter dem Hashtag #Telekomwall auf Twitter oder Instagram posten. Social-Media-Experte Eck ist begeistert. "Auf diese Weise werden auch Nicht-Social-Media-Nutzer abgeholt und der Konzern zeigt, wie wichtig es ihm ist, was seine Mitarbeiter und Kunden in Social Media machen. Wer den Hashtag nutzt, adressiert somit alle Kollegen", erklärt er.
Das Beispiel der Deutschen Telekom sollte Schule machen. Bislang sieht die Realität aber anders aus - trotz Reifeprozess: "Aufseiten der Unternehmen gibt es teilweise immer noch ein gewisses Unbehagen, wenn es um den Umgang mit sozialen Medien geht, sei es hinsichtlich der Unternehmenskommunikation oder bezüglich des Umgangs der Mitarbeiter mit Facebook und Co.", erklärt Tanja Knob, Geschäftsführerin der Marketingagentur Camao.
Grundsätzlich lasse sich aber sagen, dass die Unsicherheit deutlich zurückgegangen sei, da das Terrain inzwischen gut erforscht sei und es zahlreiche Erfolgsbeispiele gebe. Unternehmen bewegen sich in einem Spannungsbereich. Einerseits sind Social Media Guidelines nicht mehr so streng und werden "angeordnet", so Knob, wie zu Beginn des Hypes. Andererseits sind die Verantwortlichen meist nach wie vor noch zurückhaltend, wenn es um die Beteiligung von Mitarbeitern an Social-Media-Aktivitäten des Unternehmens geht.
Human Ressource und Personalmarketing
Hier nehmen Human Ressource und Personalmarketing tatsächlich oft so etwas wie eine Vorreiterrolle ein. "Influencer innerhalb der Belegschaft ausfindig zu machen und für die eigene Kampagne zu begeistern, ist mittlerweile ein Standardbaustein einer jeden ordentlichen Social-Media-Personalmarketing-Kampagne", so Robindro Ullah, der früher für Konzerne wie die Deutsche Bahn oder Voith immer wieder Social-Media-Massnahmen umgesetzt hat und heute Unternehmen auch mit Blick auf dieses Thema berät. Wer eine externe Kampagne im Bereich Personalgewinnung launche, publiziert diese oft zunächst intern. „Es existiert hier also ein sehr deutlicher Stimmungswechsel - eben aufgrund der Erkenntnis, dass Social Media am besten mit viel Rückenwind aus der Belegschaft funktioniert“, so Ullah. In die Guidelines müsse diese positive Stimmung noch einfliessen.
"Zwei Komponenten: verbieten oder ermuntern"
Warum Social Media Guidelines heute für Unternehmen wichtig sind erklärt Ben Ellermann. Er ist der erste Vorsitzende des Bundesverbands Community Management (BVCM).
Wie haben sich Social Media Guidelines in den letzten Jahren verändert?
Ben Ellermann: Guidelines haben zwei Wirkungskomponenten: Sie können reglementieren und verbieten oder motivieren und ermuntern. Viele Unternehmen sehen nur die erste Komponente - das ist die Pflicht. Die Kür ist die zweite Komponente und hier besteht nach wie vor dringender Nachholbedarf. Die meisten Unternehmen schöpfen das Potenzial, das in der Aktivierung ihrer Mitarbeiter liegt, längst nicht aus.
Wie sollte man denn die Richtlinien gestalten?
Ellermann: Social Media Guidelines sollte man nicht nur als hübsche Broschüre mit Regeln oder eine Seite im Intranet begreifen, die im Zweifel genauso häufig gelesen werden wie die allgemeinen Geschäftsbedingungen von einem Online-Shop. Anders gesagt: Es geht nicht nur um den Inhalt, sondern um die Vermittlung - ja das Evangelisieren - des Inhalts. Dafür gibt es diverse Instrumente von Bewegtbild-Tutorials über Roadshows bis hin zu Schulungen für unterschiedliche Anspruchsgruppen.
Und wenn ein Mitarbeiter etwas Falsches oder Peinliches verbreitet, das dem Image der Firma schadet oder einen Shitstorm auslöst?
Ellermann: Das ist ein Problem, weil Unternehmen auch für die Äusserungen ihrer Mitarbeiter in deren privaten Social-Media-Profilen haftbar gemacht werden können. Allerdings spricht das nicht gegen die Aktivierung der Mitarbeiter, wenn man die reglementierende Komponente beibehält.