Beratungshaus auf Wachstumskurs
30.09.2018, 10:59 Uhr
AWK und die Zukunft des ÖVs
Beim Consulting- und Engineering-Unternehmen AWK läuft es rund, wie CEO Oliver Vaterlaus an einem Medienanlass sagte. Sein Unternehmen hat sich hohe Ziele gesetzt. Es will nichts Geringeres als die Schweiz digitalisieren. Ein Schwerpunkt bildet hierbei die Mobilität.
André Arrigoni, Partner bei der AWK-Group, und Oliver Vaterlaus, CEO der AWK-Group sprachen an einem Medien-Event über die Strategie des Unternehmens und Lösungsansätze für die Digitalisierung des ÖVs
(Quelle: NMGZ/Computerworld)
Das Beratungs- und Engineeringunternehmen AWK hat diese Woche Medienvertretern Einblick in seine Strategie gegeben. Ende des letzten Jahres holte das Unternehmen einen deutschen Investor an Bord und schuf einen Verwaltungsrat.
Strategisch definierte das Management acht Arbeitsfelder als betriebliche Schwerpunkte: Agile Transformation, Business-Consulting, Integrale Sicherheit, IT 4.0, Smart Society, Romandie, Werk- und Finanzplatz. Zudem setzte sich das Management ehrgeizige Wachstumsziele.
Die damit einhergehende Veränderung des Mindsets sei aufwändig gewesen, sagte Oliver Vaterlaus, CEO der AWK Group, in seiner Begrüssungsrede. Entsprechend froh zeigte sich der Geschäftsführer darüber, dass sein Unternehmen während der vergangenen Monate nur wenige personelle Wechsel verzeichnen musste.
Neuer Standort in Lausanne
Wirtschaftlich schein AWK auf Erfolgskurs zu sein: «Wir wachsen überproportional», sagte Vaterlaus. In der ersten Hälfte dieses Jahres sei der Umsatz um 14 Prozent gestiegen. Im Ranking der umsatzstärksten Schweizer ICT-Unternehmen, der Top-500-Liste von Computerworld, sprang AWK im Jahresvergleich von Platz 183 auf Position 169.
Zudem setzte das Unternehmen seine Expansion in der Schweiz fort und bezog in der Westschweiz einen neuen Standort. Neu betreut das AWK-Team vom Tour Edipresse aus die Kunden in Lausanne und darüber hinaus.
Mobility as a Service
Das Beratungshaus entwickelte sich von einem 50-Mann-Betrieb zu einer Firma mit aktuell fast 300 Mitarbeitern – Tendenz steigend. Entsprechend will man nicht nur Projekte unterstützen, sondern federführend begleiten. «Wir wollen die digitale Schweiz gestalten», sagte Vaterlaus zum neuen Selbstverständnis des Unternehmens.
Zur Digitalisierung des Landes zählt auch die Mobilität seiner Einwohner. AWK bietet Beratungen und erbringt IT-Dienstleistungen auch in den Bereichen Strassenverkehr, IT-gestützte Mobilität und öffentlicher Verkehr (ÖV). Insbesondere im ÖV-Segment sehen die Fachleute des Beratungshauses Potenzial.
Reisende sollten künftig alle Trips von A nach B über eine Anwendung buchen können, unterwegs und mit allen Angeboten. Das sei aktuell noch nicht der Fall, sagte Vaterlaus’ Kollege André Arrigoni. Er ist Partner bei AWK und beschäftigt sich mit dem strategischen Schwerpunkt Smart Society. Arrigoni hob fünf Empfehlungen hervor:
- Die Schaffung eines gemeinsamen Zielbilds respektive einer gemeinsame Vision der Mobilitätsanbieter.
- Bereitstellung der Daten aller Mobilitätsanbieter, so dass alle Beteiligten die Verkehrs- und Pricing-Informationen abrufen und ihre eigenen Angebote integrieren können. Hierzu müssten allerdings auch alle Anbieter, die oft auch in Konkurrenz zueinander stehen, Einblick in ihre Daten und Betriebssysteme geben. Die Brisanz scheint auch Arrigoni zu sehen. Es brauche diesbezüglich klare Vorstellungen, sodass die Marktteilnehmer auch einen Mehrwert gegenüber dem Status quo erkennen, betonte der AWK-Mann.
- Eine gemeinsame Plattfom auf der die Beteiligten ihre Daten aufspielen und Dienstleister ihre Angebote aufsetzen können.
- Die Beantwortung der Frage: Was wollen die Kunden? Es bringe nichts, Angebote auf den Markt zu werfen, die nicht genutzt würden. Es gelte im Vorfeld abzuklären, wo denn die Marktbedürfnisse liegen.
- Arrigoni betonte die Wichtigkeit des Datenschutzes. Dieser müsse auch bei einer künftigen gemeinsamen Datenplattform gewährleistet sein.
Die Handlungsempfehlungen weisen vornehmlich in eine Richtung: Die Etablierung einer offenen Datenplattform, die von allen Mobilitätsanbietern genutzt wird. Das soll neue Angebote schaffen, bestehende ausweiten und im Idealfall auch die Effizienz des ÖVs steigern respektive dessen Kosten senken. Das war auch von anwesenden BAV-Vertretern, von Direktor Peter Füglistaller und dem politischen Leiter Gery Balmer, zu hören. Füglistaller nannte als Beispiel einen Flug von Genf nach London, bei dessen Buchung ein Passagier auch gleich noch das Zugticket vom Zielflughafen bis in die Innenstadt Londons lösen könne. Umgekehrt sei das derzeit nicht möglich, wegen Schweizer Regelungen, die aktuell ein geschlossenes Vertriebssystem vorsehen würden.
Starke heimische Lösungen als Schutz vor ausländischen Dritten
Mit den geeigneten Rahmenbedingungen und dem richtigen Spirit könnten Schweizer Player selbst Lösungen entwickeln, bevor die internationalen Big Player auf den heimischen Markt drängen, hob Balmer hervor. Die Zusammenarbeit könne zudem für eine verbesserte Marktpräsenz insbesondere kleinerer Anbieter führen, die neben Bahn und Bus bisher weniger oder erst vor Ort wahrgenommen werden, etwa lokale Taxi-Dienste oder Bergbahnbetreiber.
Ziel müsse es sein, dass Passagiere mit einem Prozess alle Buchungen von A nach B abwickeln können, betonte Balmer. Start-ups wie Fairtiq zeigten, was heute bereits machbar sei. Bei der App Fairtiq können Passagiere den ÖV nutzen, indem sie bei Reiseantritt etwa in der Tram mit der App den Startpunkt definieren und am Ende der Reise den Endpunkt. Die App ermittelt dann automatisch den günstigsten Ticketpreis, der dem Fahrgast dann verrechnet wird. Für neue Angebote braucht es keine grundlegend neue Technik. Helfen könnte etwa die Open-Data-Plattform ÖV Schweiz.
Bis Ende des Jahres werde dem Bundesrat ein Massnahmenplan mit Aktivitäten für den besseren Zugang zu Mobilitätsdaten, Koordination Standard und zu Fragen der Governance vorgelegt, heisst es im Faktenblatt «Multimodale Mobilitätsdienstleistungen» des BAV. In einer Vernehmlassungsvolage inklusive Gesetzesentwurf sollen bis Jahresende die allgemeinen Rahmenbedingen festgelegt werden. Hierfür wünschen sich die BAV-Vertreter eine möglichst breite Debatte, um eine optimale Lösung zu finden.
Bundesrat will Mobility as a Service fördern
Die Planungen des BAVs kommen nicht von ungefähr. Der Bundesrat hatte im Dezember des letzten Jahres beschlossen, die multimodale Mobilität zu fördern und zu vereinfachen. Neben den Handlungsempfehlungen von AWK beschreibt auch eine Studie «Chancen und Risiken einer Öffnung des Zugangs zum ÖV-Vertrieb» die Möglichkeiten der Schweiz beim Thema Mobility as a Service.
Allerdings gibt es insbesondere auf politischer Ebene noch zu tun. Etwa beim Transportgesetz, wie im Schlussbericht « Individualisierung des ÖV-Angebots» auf Seite 148 heisst. Die verschiedenen Mobilitätsangebote werden demnach heute in unterschiedlichen Gesetzen auf unterschiedlicher Ebene geregelt. Während der klassische ÖV massgeblich über Bundesgesetze gesteuert werde, werde beispielsweise das Taxigewerbe durch kommunale Gesetzgebungen reguliert. Zudem würden neue Mobilitätsangebote wie Ridesharing vom bestehenden Regulativ nicht erfasst.
Bis Passagiere vor ihrem Flug von London nach Genf gleich noch ein Billet für den Genfer ÖV lösen können, dürften noch ein paar Jahre vergehen, da sich die politischen und wirtschaftlichen Akteure noch einigen und Lösungen ausarbeiten müssen. Gemäss dem Faktenblatt ist ein theoretischer Zeithorizont von zirka drei Jahren geplant.