08.10.2010, 00:00 Uhr
Beschwerde wegen 42-Millionen Vergabe an Microsoft vor Bundesgericht
Wegen gravierenden Folgen für den Schweizer IT-Markt und die gesamte öffentliche Beschaffung haben die Beschwerdeführer gestern das Urteil wegen der 42-Millionen-Vergabe an Microsoft ans Bundesgericht weitergezogen. Mitglieder der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit kommentieren diesen Entscheid unterschiedlich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 6. Juli 2010 entschieden, dass die Beschwerde gegen die 42-Millionen-Vergabe des Bundes an Microsoft nicht legitimiert sei und somit die materiellen Fragen nicht geprüft werden. Weil die Bundesverwaltung schon ältere Versionen von Microsoft-Produkten (Windows XP, Office 2003 etc.) im Einsatz hatte, wäre sie durch dieses Urteil befugt, ohne jegliche zeitliche und mengenmässige Limitierung die jeweils neuesten Softwareversionen ohne öffentliche Ausschreibung zu beschaffen. Die Verwaltung könnte zudem weitere Microsoft-Software zur Ausrüstung zusätzlicher Arbeitsplätze und Server freihändig erwerben und könnte auch für vollständig neue Software verlangen, dass sie in die Microsoft-Umgebung passt. Dies wäre alles legal und unanfechtbar, obwohl die vorhandene Software nicht beschaffungsrechtskonform erworben wurde.
In anderen Worten hiesse dies, dass öffentliche Verwaltungen und verwaltungsnahe Unternehmen künftig sämtliche bestehende Software sei sie nun von Microsoft, SAP, Oracle oder sonst einem Anbieter auf unbegrenzte Zeit beliebig erweitern und ausbauen können. Somit wäre die einengende Herstellerabhängigkeit von proprietärer Software nun auch noch gerichtlich legalisiert. Freihändige Vergaben würden zum Courant Normal in der IT-Beschaffung werden, denn die Informatik-Strategie stünde faktisch über dem Beschaffungsgesetz. Die Rechtsfrage ist aber auch von grundlegender Bedeutung für die gesamte öffentliche Beschaffung in der Schweiz, denn das Urteil könnte weit über die Thematik Open Source Software angewendet werden. Überall, wo öffentliche Verwaltungen technologische Abhängigkeiten sähen, wären fortan viele freihändige Vergaben zu erwarten. Durch das aktuelle Urteil wären andere Anbieter nicht einmal mehr befugt, eine gerichtliche Prüfung des Beschaffungsentscheids zu beantragen. Der Beschaffungs-Willkür der Verwaltung wären keine Grenzen mehr gesetzt.
So könnten unter Umständen beispielsweise die SBB künftige Wartungs- und Ausbauarbeiten der neuen Zugkompositionen von Bombardier beliebig lange dem selben kanadischen Konzern freihändig Aufträge vergeben. Unternehmen wie die Stadler Rail hätten nicht einmal mehr die Chance Beschwerde dagegen einzureichen. Die SBB könnte mit Verweis auf das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgericht begründen, dass sie technisch abhängig sei von Bombardier und kein anderer Anbieter das geforderte Know-How liefern könnte. Aus all diesen Gründen haben die Beschwerdeführer nun am Donnerstag Berufung gegen das Urteil eingelegt und den Entscheid ans Bundesgericht weitergezogen. Politiker aus verschiedensten Parteien kommentieren diesen Entscheid:
Edith Graf-Litscher, Nationalrätin der SP im Kt. Thurgau und Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, befürwortet den Gang ans Bundesgericht: Dies ist ein Fall von grundlegender Bedeutung für den IT-Standort Schweiz. Das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts würde Tür und Tor für noch mehr freihändige Vergaben öffnen. Deshalb befürworte ich, dass die Beschwerdeführer nicht auf halbem Weg aufgeben sondern den Schritt ans
Bundesgericht wagen. Gleichzeitig pflegen wir von der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit weiterhin den offenen und konstruktiven Dialog mit der Bundesverwaltung damit mehr faire, öffentliche Ausschreibungen stattfinden.
Nationalrat der FDP.Die Liberalen und Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit Christian Wasserfallen meint kritisch: Ich akzeptiere zwar den Entscheid der Beschwerdeführer, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen. Statt aber weiterhin auf dem Rechtsweg zu marschieren, wird es umso wichtiger sein, auf politischem Weg gleich lange Spiesse für Open Source Software einzufordern. Der Wille beim Bund muss immer noch gestärkt werden, Open Source Dienstleister als gleichberechtigte Anbieter zu berücksichtigen.
Alec von Graffenried, Nationalrat der Grünen Kt. Bern und Gründungsmitglied der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, findet den Weiterzug ans Bundesgericht notwendig: Ich wurde überrascht vom Nichteintreten des Bundesverwaltungsgerichtes. Ich begrüsse es daher, dass das Bundesgericht schon nur über die Frage entscheidet, ob nicht aussenstehende Konkurrenten eine freihändige Vergabe anfechten können. Diese Frage kann man durchaus anders sehen als das
Bundesverwaltungsgericht.
Thomas Weibel, Nationalrat der Grünliberalen und Gründungsmitglied der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, sieht den freien Markt bedroht: Als Grünliberaler ist es mir wichtig, dass der Markt funktioniert und gesunder Wettbewerb mit Chancengleichheit herrscht. Mit dem aktuellen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts wird die öffentliche Beschaffung faktisch ausgehebelt. Deshalb hoffe ich, dass das Bundesgericht das Urteil korrigieren wird. (Patrick Hediger)