Industrie 4.0 ist viel mehr als IT
Ganzheitlich Herangehen
Im vorgestellten Ansatz wird eine ganzheitliche Herangehensweise an Initiativen vorgestellt: ein Gegenmittel gegenüber der Tendenz, die Projekte, insbesondere solche mit einem Bezug zu Industrie 4.0, auf ihre IT-Aspekte zu reduzieren. Ein Grundsatz dieses Ansatzes lautet: Je komplexer oder anspruchsvoller das Vorhaben von der IT-Seite, desto wichtiger die bewusste Beachtung der weiteren Aspekte. Wenn es eine Ausnahme zu dieser Regel gibt, dann betrifft sie reine Forschungsvorhaben, wie sie manchmal in F&E-Abteilungen unternommen werden. Bei Forschungsvorhaben ist eine ausschliessliche Fokussierung auf technische Aspekte zulässig. Sobald es aber um eine Anwendung geht, führt die Vernachlässigung der nicht technischen Aspekte in die falsche Richtung.
1. Fokus auf zu erbringende Leistung legen
Das Kernstück des Ansatzes liegt im Fokus des Vorhabens. Dieser soll auf die zu erbringende Leistung gelegt werden. Diese Leistung zu bestimmen, erscheint vordergründig eine Selbstverständlichkeit. Sie ist in der Tat anspruchsvoll, wie versierte Projektleitende bestätigen können. Für Technikerinnen und Techniker ist besonders schwierig, der Versuchung zu entfliehen, sich in technische Details zu verlieben oder Lösungen zu entwickeln, die die vollen Möglichkeiten der Technik ausschöpfen. Um die Anstrengungen des Projektteams in die richtigen Bahnen zu lenken, und um dieses vor Fehlentwicklungen zu bewahren, ist eine durchdachte Kundenzentrierung dienlich. Ihr Sinn ist die Fokussierung auf marktfähige Lösungen. Deren Erfolg lässt sich daran messen, dass sie wichtigen Bedürfnissen der Kundschaft begegnen – wenn auch vielleicht nicht allen ihren Wünschen – und einen Mehrwert bieten, der sie dazu bewegt, das Angebot zu erwerben.
Nun hat eine erhebliche Anzahl von Projekten, die mit Bezug auf Industrie 4.0 in ihren zahlreichen Ausprägungen lanciert wird, nicht unmittelbar mit Kunden zu tun. Es sind solche, welche die Vernetzung von Anlagen, die Erhebung von Produktionsdaten, die automatische Steuerung von Lagerbeständen und sonstige betriebsinterne Abläufe betreffen. Auch in solchen Fällen soll gründlich eruiert werden, welche Auswirkungen das Projekt für bestehende und neue Kunden haben wird. Die Unternehmung soll dadurch schneller, flexibler, günstiger oder besser werden, und somit gegenüber der Konkurrenz einen Vorsprung erlangen, den die Kundschaft als Mehrwert einstuft. Dieselbe Logik gilt nicht nur dann, wenn die Unternehmung die Entwicklungen als First Mover vorantreibt, sondern genauso, wenn sie sich auf einer Aufholjagd befindet. Die Projekte sollen den geltenden Vorteil der Wettbewerber wettmachen oder gar übertreffen, vorausgesetzt, das Ergebnis gilt als Mehrwert in den Augen der Kundschaft. Dann ist sie auch bereit, das Produkt respektive die Dienstleistung zu erwerben. Wo der Kundennutzen gering ist, darf die Technologie ohne Reue weniger leisten, als es möglich wäre.
Wenn also von einer Initiative oder einem Vorhaben nicht klar und glaubwürdig gesagt werden kann, welche Auswirkungen die Ergebnisse im Markt erzeugen werden, so ist der Zweck der Initiative fraglich. Die Methoden, um die Bedürfnisse der Kundschaft und ihr Interesse an der zu entwickelnden Lösung vorderhand zu eruieren, sind zahlreich: Jobs to be done, Lead Users, Traction, Lean Innovation, Design Thinking usw. Sie werden ausführlich in der Literatur beschrieben, an verschiedenen Institutionen gelehrt und angewendet sowie von Beratern als Dienstleistung angeboten.
2. Mitarbeiterperspektive miteinbeziehen
Die zweite einzunehmende Perspektive ist diejenige der Mitarbeitenden. Zahlreiche, wenn nicht alle Projekte im Rahmen von Industrie 4.0 verändern die Art, wie in einer Unternehmung gearbeitet wird. Dies geschieht hauptsächlich dadurch, weil sie Prozesse umstellen, und zu einem geringeren Anteil durch die Anpassung bestehender respektive die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen (IoT-basiert, App-gesteuert usw.). Unabhängig davon, wie wandelbereit die Betroffenen sind: Eine Zeit der Umstellung muss einberechnet werden. Im Minimalfall, damit sich die Mitarbeitenden an die veränderten Umstände gewöhnen. Wenn aber die Geschäftsleitung nicht nur Veränderungen umsetzen, sondern darüber hinaus das Verständnis für die Zusammenhänge und somit die Basis legen will, um die Mitarbeitenden in die aktive Fortentwicklung der Unternehmung einzubeziehen, dann sollte Zeit eingeräumt werden, damit sie neue oder zumindest ergänzende Kompetenzen, welche mit den Neuentwicklungen einhergehen, erlernen können.
Diese Lernprozesse verlaufen inzwischen on- und off-the-job, setzen neue didaktische Methoden voraus (z. B. Blended Learning, Gamification), erfordern spezifische technische Vorrichtungen (AR/VR, digitale Zwillinge) und umfassen sowohl fachspezifische als auch fachfremde Kenntnisse. Letztere erfordern meistens grössere Lernanstrengungen, weil sie ausserhalb des angestammten Fachbereichs liegen. Diese Fülle an Neuigkeiten in Bezug auf Weiterbildungen lässt sich schwer überblicken, geschweige denn kompetent umsetzen. Deswegen führen grössere Organisationen zunehmend die Figur des Learning Officers ein. Für kleinere Organisationen stellen Branchen- und Berufsverbände erste Ansprechpartner dar, wenn sie ihre Mitglieder aktiv und zukunftsorientiert sowohl mit eigenen Weiterbildungsangeboten als auch mit einer Selektion passender Partnerschaften zu Bildungsinstitutionen unterstützen wollen.
Autor(in)
Andrea L.
Sablone