Studie 02.10.2016, 22:51 Uhr

Digitialisierung führt zu gesundheitlichen Problemen

Die Uni St. Gallen hat die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesundheit der Beschäftigten untersucht. Die Ergebnisse müssen Arbeitgeber aufhorchen lassen. Das können sie tun.
(Quelle: shutterstock.com/everything possible)
Die HSG führte eine Studie mit dem Titel «Auswirkungen der Digitalisierung auf Berufstätige durch». Dazu wurden über 8000 Menschen in Deutschland mittels Online-Umfrage befragt. Die wichtigsten Erkenntnisse:

  •     Führungskräfte, jüngere  Berufstätige, Männer sowie  Berufstätige in  der  Unternehmensführung und  in  IT- und naturwissenschaftlichen  Berufen verspüren  einen überdurchschnittlichen Digitalisierungsdruck (Druck sich ständig fortzubilden oder schneller zu arbeiten)
  •     Digitalisierung  zeigt  signifikante Zusammenhänge  mit emotionaler Erschöpfung  (Burnout) und  Konflikten  zwischen  Arbeit & Familie. 23 Prozent der Befragten fühlen sich durch ihre Arbeit emotional erschöpft.
  •     Erfolgreiches Management von Digitalisierung beginnt beim  Erwerbstätigen selbst.  Geringe IKT -Nutzung  zu Arbeitszwecken  in der Freizeit , emotionale Abgrenzung  und  Sport  hängen mit  reduzierter emotionaler  Erschöpfung  und  erhöhter Arbeitsfähigkeit  zusammen.
  •     Eine gute Beziehung zur Führungskraft gibt Mitarbeitenden Sicherheit im Umgang mit der Digitalisierung und geht mit verringertem Präsentismus (trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen) einher.
  •     Flexibilisierung von Arbeit (flexible Arbeitszeiten  und Arbeitsorte)  ist  positiv zu  bewerten, da sie mit  verringerten Arbeits - und Familienkonflikten und  reduzierter  emotionaler Erschöpfung einhergeht.
  •     Flexibilisierung von Arbeit ist in manchen Branchen weit fortgeschritten (Marketing/PR/Beratung & Banken/Versicherung > 70 Prozent), in anderen Branchen eher gering ausgeprägt (Nahrungs- u. Genussmittel  sowie Gesundheit < 25 Prozent).

Erwerbstätige spüren Veränderungsdruck

Durch die Digitalisierung entsteht in vielen Branchen  der Druck  schneller  zu  arbeiten  und sich  ständig fortzubilden. Überdurchschnittlich betroffen sind  Führungskräfte, jüngere Berufstätige, Männer – und IT- und naturwissenschaftliche Berufe.

  •     12 Prozent der Befragten fühlen sich überfordert, weil die Technologie es zu vielen Menschen ermöglicht, auf ihre Zeit zuzugreifen.
  •     15 Prozent nennen den Umgang mit E-Mails und Sprachnachrichten im Job Zeitverschwendung, die nichts mit ihrer eigentlichen Arbeit zu tun haben.
  •     17 Prozent sagen, die Technologie zwinge sie, deutlich schneller zu arbeiten
  •     16 Prozent fühlen sich durch zu viel verfügbare Information bei der Entscheidungsfindung abgelenkt und durch die Informationsmenge überwältigt
  •     19 Prozent haben das Gefühl, sich und ihre technologischen Fähigkeiten stetig verbessern zu müssen, um nicht ersetzt zu werden.


Das Alter macht sorgloser

Was die Digitalisierung, den Technologie-Optimismus, die technologischen Fähigkeiten sowie die Angst, den Arbeitsplatz durch Technologie zu verlieren angeht, unterscheiden sich ältere und jüngere Berufstätige zwar nicht stark, Trends gibt es dennoch.

  •     Junge legen einen grösseren Technologie-Optimismus an den Tag. 59 Prozent der unter 30-Jährigen sagen, dass die Technologie sie produktiver macht. Bei den über 60-Jährigen liegt der Anteil bei 46 Prozent.
  •     Lebensqualität (57 vs 42 Prozent) und Freiheit durch Technologie (59 vs 49 Prozent) bewerten die Jungen ebenfalls positiver
  •     Dafür empfinden die Jungen einen höheren Digitalisierungsdruck. 21 Prozent fühlen sich gezwungen, schneller zu arbeiten. Bei den Älteren sind es 9 Prozent. Die Jungen klagen auch häufiger darüber (16 vs 6 Prozent), mehr Arbeit verrichten zu müssen, als sie leisten können
  •     11 Prozent der 18- bis 29-Jährigen fühlen sich durch Kollegen mit aktuelleren technologischen Kompetenzen bedroht. Bei den Älteren liegt der Anteil bei 3 Prozent.


Digitalisierung kann das Privatleben gefährden

Die Studie zeigt signifikante Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und emotionaler Erschöpfung (Burnout) oder mit Konflikten zwischen Arbeit und Familie.

  •     33 Prozent fühlen sich nach dem Ende eines Arbeitstages «verbraucht».
  •     23 Prozent gaben an, sich durch ihre Arbeit emotional erschöpft zu fühlen, was ein Anzeichen für Burnout sein kann
  •     21 Prozent fühlen sich durch ihre Arbeit ausgebrannt
  •     Die Ergebnisse zeigen, dass Burnout bei den Beschäftigten, die stark unter dem Digitalisierungsdruck leiden, beispielsweise wegen erhöhtem Arbeitstempo oder gesteigerter Informationsflut, sehr viel stärker ausgeprägt ist
  •     Dies trifft auch auf das Privatleben zu. 25 Prozent gaben an, dass die Arbeitsanforderungen das Privat- und Familienleben beeinträchtigen. Bei den durch die Digitalisierung Beeinträchtigten liegt dieser Wert sogar bei 39 Prozent.
  •     48 Prozent derjenigen die sagen, dass das Privat- und Familienleben beeinträchtigt ist, sagen auch, dass sie sich wegen der Digitalisierung Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen
  •     25 Prozent der Befragten sagten, dass aufgrund der Arbeitsanforderungen Dinge, die sie zu Hause gern erledigen würden, liegen blieben.
  •     22 Prozent klagen darüber, dass es aufgrund der Arbeitszeit schwierig sei, die familiären Pflichten zu erfüllen
  •     Als konkrete Gesundheitsprobleme nennen 28 Prozent der Beschäftigen Rückenschmerzen. Bereits an zweiter Stelle  folgen veränderte Verstimmungen (18 Prozent), die bei jüngeren Beschäftigten häufiger auftreten. 16 Prozent der Befragten  geben an, unter Kopfschmerzen/Migräne zu leiden.


Nun das Positive: Arbeitstätige haben es selber in der Hand

Nach diesen doch bedenklichen Ergebnissen, die gute Nachricht: Der Grad der emotionalen Erschöpfung lässt sich reduzieren, fanden die Autoren auch heraus. Wer in der Freizeit Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) nur selten zu Arbeitszwecken nutze, Job-Mails auch mal abschaltet, sich vom Job emotional abgrenzt und Sport treibt, sei erstens weniger erschöpft und erhöhe zweitens seine Arbeitsfähigkeit.

  •     13 Prozent können (oder wollen) sich gar nicht nach Feierabend von ihrer Arbeit distanzieren. 28 Prozent nehmen sich nach Feierabend und am Wochenende nicht oder nur teilweise eine Arbeits-Auszeit
  •     Dabei fühlen sich Befragte, die bis zu 2 Stunden pro Woche in ihrer Freizeit beruflich telefonieren oder am Computer arbeiten weniger ausgebrannt (18 Prozent) als Befragte, die dies bis zu 10 Stunden/Woche (23 Prozent) oder noch öfters (27 Prozent) tun.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was Firmen tun können


Führungskräfte sind in der Verantwortung

Eine gute Beziehung zur Führungskraft gibt Mitarbeitern mehr Sicherheit im Umgang mit der Digitalisierung. Ist das Verhältnis zum Chef gut, verringert sich die Neigung, krank zur Arbeit zu gehen, der sogenannte Präsentismus.

  •     Wer eine gute Beziehung zu seinem Vorgesetzten hat, kann häufig besser mit den Folgen der Digitalisierung umgehen: So leiden 16 Prozent aller Befragten unter dem «Information Overload». Ist die  Beziehung zum Vorgesetzten sehr schlecht, steigt dieser Anteil auf 26 Prozent.
  •     12 Prozent aller Befragten fühlen sich überfordert, weil die Technologie es zu vielen Menschen ermöglicht, auf ihre Zeit zuzugreifen. Bei einer sehr schlechten Beziehung zum Vorgesetzen sind es 27 Prozent.


Firmen können mehr tun

Deshalb gilt: Das Management muss sich um die betriebliche Gesundheitsförderung kümmern, auch unter Rücksichtnahme auf die Digitalisierung

  •     Nur 27 Prozent der Führungskräfte wurden zu einem positiven und gesundheitsförderlichen Umgang mit ihren Mitarbeitern geschult.
  •     Vor allem Arbeitnehmer in kleineren Unternehmen haben häufig nicht die Möglichkeit, betriebliche Angebote zur  Gesundheitsförderung wahrzunehmen. Z.B. Kurse zur Stressprävention: in grossen Unternehmen (250+ Mitarbeiter) geben 41 Prozent an, dass solche Kurse angeboten werden – in kleinen Unternehmen (bis 10 Mitarbeiter)  nur 13 Prozent der  Arbeitnehmer.
  •     Auch wenn die Unternehmen betriebliche Gesundheitsvorsorge-Massnahmen anbieten, werden diese von den  Arbeitnehmern häufig nicht in Anspruch genommen. Z.B. Gesundheitsschulungen (z.B. Ergonomie, Rückenschule,  Ernährungsberatung etc.): Allerdings gaben nur 50 Prozent der Befragten an, ein solches Angebot bisher in Anspruch genommen zu haben.
  •     Fast jeder fünfte Arbeitnehmer (18 Prozent) wünscht sich von seinem Unternehmen, dass Schulungen für neue Technologien oder IT-Systeme angeboten werden. Vor allem in Industrie und Handwerk ist der Bedarf gross. 24 Prozent wünschen sich hier von ihrem Unternehmen mehr Fortbildungsangebote.


Flexible Arbeitszeiten reduzieren Konflikte, haben aber auch Grenzen

Flexibilisierung  von  Arbeit ( flexible Arbeitszeiten  und  Arbeitsorte ) ist positiv zu bewerten, da sie  mit verringerten Arbeits - und Familienkonflikten und reduzierter emotionaler Erschöpfung  einhergeht, sagen die Studienautoren. Allerdings hat die Flexibilisierung auch ihre Grenzen.

  •     27 Prozent der Befragten gaben an, im Unternehmen während der normalen Betriebszeiten auch ausserhalb des regulären Arbeitsplatzes arbeiten zu  dürfen. 65 Prozent haben diese Möglichkeit nicht.
  •     In der Finanz- und Immobilienbranche können 42 Prozent der Arbeitnehmer auch ausserhalb ihres Arbeitsplatzes. Ähnlich hohe Werte finden sich im Bildungssektor (41 Prozent), in der  IT - Branche (61 Prozent), im Bereich Marketing (49 Prozent) sowie im Sektor Medien/Kunst/Kultur (46 Prozent).
  •     In anderen Branchen sind die Berufstätigen naturgemäss an ihren Arbeitsplatz gebunden. Entsprechend gering ist  der Anteil der Befragten, die an anderen Orten als ihrem Arbeitsplatz arbeiten können:  Sektor Holz/Papier/  Kunststoff  (15 Prozent) und Nahrungsmittelindustrie (10 Prozent).
  •     Ähnlich bei der flexiblen Arbeitszeitgestaltung: 82 Prozent der Arbeitnehmer in der Nahrungsmittelindustrie haben keinerlei Möglichkeit zur freien Arbeitszeiteinteilung (Gesundheitsberufe: 75 Prozent,  Gastgewerbe/Tourismus: 71 Prozent, Logistik & Verkehr: 70 Prozent).
  •     Wesentlich flexibler können die Berufstätigen im Marketing- Bereich arbeiten: Nur 25 Prozent dieser Berufsgruppe hat feste, nicht veränderbare Arbeitszeiten. (Finanzen & Immobilien: 27 Prozent, IT- Branche: 32 Prozent, Öffentlicher  Sektor: 35 Prozent)


Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender des Studienauftraggebers BARMER GEK, fordert Unternehmen auf, den gesundheitlichen Risiken der Digitalisierung rechtzeitig entgegenzuwirken: «Digitalisierung des Arbeitslebens bietet nicht nur Chancen, falsch betrieben führt sie zu gesundheitlichen Risiken. Dem sollten Unternehmen in ihrem betrieblichen Gesundheitsmanagement früh entgegensteuern.»




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