IT-Projekt des Monats 13.06.2019, 10:55 Uhr

Das digitale Migrationsamt in Zürich

Schweizer Behörden sind nicht eben für fortschrittliche Technik bekannt. Das Migrationsamt des Kantons Zürich ist hier eine Ausnahme. Geschäfte dauern nicht mehr fünf Tage, sondern nur noch einen Tag.
Das Migrationsamt des Kantons Zürich setzt auf fortschrittliche Technik
(Quelle: zvg)
Noch vor wenigen Jahren war das Migrationsamt Zürich ein klassischer Bestandteil einer kantonalen Verwaltung. Die Verantwortlichen sprachen zwar häufig und gerne von Digitalisierung, die Umsetzung ging allerdings nur sehr langsam voran. Mit einer Durchlaufzeit von im Schnitt fünf Tagen für ein typisches Geschäft war auch das Migrationsamt weit weg von dem, was die Kunden heute von einer modernen Verwaltung erwarten. Wie in vielen Unternehmen auch gab es beim Migrationsamt ein umfangreiches Bestandsarchiv. Obwohl dieses vergleichsweise gut geführt war, ist Papier nun mal leider ein schlecht handhabbares und serielles Medium.
Auch beim regelmässigen Datenaustausch mit der Bundesverwaltung war die Zeit ein wenig stehen geblieben. Aufgrund fehlender oder viel zu seltener und manueller Synchronisationsläufe waren die Datenbestände in vielen Fällen nicht mehr aktuell. Diese Defizite bremsten auch die Entscheidungsprozesse innerhalb des Zürcher Migrationsamts aus. Da hier das Personal bereits an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit arbeitete, sahen sich die Verantwortlichen für die sich abzeichnenden zusätzlichen Heraus­forderungen nicht wirklich gut gerüstet.
Ganz ähnlich war die Situation bei den Gemeinden im Kanton Zürich. Ein Grossteil des Informationsaustauschs mit dem kantonalen Migrationsamt erfolgte in Papierform. Dabei mussten allein schon für den Transport der Dokumente via Post im Normalfall zwei Tage veranschlagt werden. Ein ebenfalls unbefriedigender Zustand.

Prozesse straffen, Staus erkennen

Mit dieser Situation konnten und wollten sich die Verantwortlichen des Migrationsamts Zürich nicht abfinden. Ausgehend vom bereits vorhandenen Dokumentenmanagement-System wurde zunächst die Erfassung der verschiedenen Belege intensiviert. In einem nächsten Schritt wurde gemeinsam mit dem Winterthurer IT-Unternehmen Cross-Works die Plattform «MiGEK» entwickelt. Sie sollte einerseits die Zusammenarbeit mit den Gemeinden verein­fachen und andererseits den Datenaustausch mit dem Zentralen Migrationsinformationssystem (Zemis) des Bundes automatisieren. MiGEK wurde sukzessive erweitert, zum Beispiel mit einer Terminplanfunktionalität, über welche die kantonalen Gemeinden den Termin für die Erfassung biometrischer Daten selbst bestimmen können.
Darauf aufbauend, wurde in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) eine Ausschreibung für eine Workflow-Plattform lanciert. Aus dieser Ausschreibung ging der IT-Dienstleister Sopra Steria mit der Prozessunterstützungs- und Monitoring­plattform «Inubit» als Sieger hervor. Heute, rund vier Jahre später, ist die intern «PuM» genannte Plattform eingeführt und praktisch alle vorhandenen Informationen sind digitalisiert. Der Zugriff auf die Lösungen geschieht weitestgehend via Browser, die Datenhaltung erfolgt in SQL-Datenbanken.
Die Anwendung ist heute für alle Mitarbeiter im Migrationsamt das zentrale Werkzeug für die tägliche Arbeit. Kein Geschäft, kein Arbeitsschritt, der an PuM vorbeigeht. Aus dem System heraus werden – wo immer möglich automatisiert – Aufträge generiert und an Umsysteme übertragen. Im Gegenzug liefern die zahlreichen Umsysteme ihre Ergebnisse direkt und weitestgehend automatisiert in PuM ein, weshalb ein typisches Geschäft das Migrationsamt heute im Schnitt in einem einzigen Tag durchläuft. Diese umfassende Prozessoptimierung ist ein wesentlicher Grund dafür, dass das Migrationsamt heute deutlich mehr Geschäfte bearbeiten kann, ohne dass dafür der Personal­bestand aufgestockt werden musste.
Die PuM-Plattform bildet allerdings nicht nur Prozesse ab, sondern sie erlaubt auch die Überwachung derselben. So sieht das Management des Migrationsamts heute zu jedem beliebigen Zeitpunkt, wo es in der internen Prozesslandschaft allenfalls einen Stau gibt. Bei Bedarf können die Verantwortlichen umgehend entsprechende Gegenmassnahmen einleiten. Ausserdem werden Verbesserungs­potenziale im Bereich der verschiedenen Prozesse erst durch PuM sicht- und auch belegbar.

Digitalisierung ist mehr als E-Mail

Über das MiGEK-System erhielten in einem weiteren Schritt auch die Gemeinden des Kantons Zürich einen direkten Zugriff auf Informationen, die sie für die Bearbeitung eines Geschäfts zwingend benötigen. So wurde auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden digitalisiert.
“Wir haben eine ausser­gewöhnlich mächtige Lösung für die Zusammenarbeit mit unseren Gemeinden realisiert„
Walter Peter, Migrationsamt Kanton Zürich
Ist mancherorts schon von «Digitalisierung» die Rede, wenn Dokumente nicht mehr in Papierform, sondern eingescannt via E-Mail übertragen werden, war dies für das Migrationsamt keine Option. Vielmehr war von Beginn an klar, dass ein E-Mail-Service nicht die Basis für die Abbildung von Prozessen sein kann. Aus diesem Grund wurde für den Austausch von Dokumenten ein Pilotprojekt zum Meldungsaustausch realisiert. Damit ist eben nicht E-Mail gemeint, sondern eine auf eCH-Standards basierende Kommunikation zwischen PuM respektive MiGEK und den unterschiedlichen Lösungen der Gemeinden. Diese direkte und wo immer möglich auf beiden Seiten automatisierte Kommunikation ermöglicht, dass ein Geschäft von einer Gemeinde heute in aller Regel noch am gleichen, spätestens jedoch am folgenden Tag abgeschlossen werden kann. «In enger Kooperation haben wir eine aussergewöhnlich gute und mächtige Lösung für die Zusammenarbeit mit
unseren Gemeinden realisiert», sagt Walter Peter, Leiter Informatik des Migrationsamts Kanton Zürich.
Dass es insbesondere bei den Gemeinden ein grosses Bedürfnis an mehr und transparenter Information gab, zeigt das aktuell laufende Pilotprojekt, für das sich spontan 20 Gemeinden freiwillig gemeldet haben. Das Projekt verläuft sehr vielversprechend und soll nach Abschluss der Pilotphase zügig ausgebaut werden. Das Engagement hat sich auch für die Gemeinden gelohnt, sagt Gaby Egger von der Gemeindeverwaltung Wangen-Brüttisellen: «Für uns ist die neue Lösung super, da der ganze Prozess dadurch viel schneller geht. Die Kunden erhalten die Bewilligungen rascher, im MiGEK haben wir diverse Informationen zur Verfügung. So können wir Ressourcen einsparen und die wertvolle Zeit für unsere Kunden einsetzen.»

Ämterübergreifende Kooperation

Ein Blick auf die Technik zeigt, dass das Digitalisierungsprojekt des Migrationsamts Zürich im Wesentlichen auf vier Pfeilern basiert: einem elektronischen Archiv, der PuM-Plattform sowie der von Cross-Works gelieferten Lösung für die Zusammenarbeit mit dem Gemeinden und dem automatisierten Datenaustausch mit dem Bund. Hinzu kommt, dass bei allen Komponenten konsequent auf Standards gesetzt wurde. Der erwähnte Meldungsaustausch auf eCH-Basis ist dabei zweifellos ein zentraler Aspekt.
Insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit mit weiteren kantonalen Stellen sieht man noch erhebliches Potenzial. Ein erstes konkretes Beispiel für einen tatsäch­lichen Mehrwert der Lösung ist die Anbindung der Kantonspolizei: Früher wurden die Protokolle der Kantonspolizei in Papierform an das Migrationsamt geliefert, dort gescannt, indexiert und im Dokumentenmanagement-System abgelegt. Mittlerweile werden diese Protokolle ohne Medienbruch elektronisch an das Migrationsamt übermittelt. Abseits der Eingangskontrolle fällt heute im Migra­tionsamt keinerlei Aufwand an.
Weiteres Potenzial für einen medienbruchfreien Datenaustauch mit Gemeinden, anderen kantonalen Stellen, den Kantonen und auch dem Bund sieht Informatikleiter Peter noch zuhauf: «Der grosse Effizienzgewinn liegt derzeit in der Automatisierung der internen Prozesse, nicht in der Bereitstellung eines schönen Portals für die Kunden.»
Info
Eckdaten zum Projekt
Die Anforderung war die durchgängige Digitalisierung des Meldungsflusses zwischen Gemeinden, dem Migrationsamt des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Migration SEM.
Mengengerüst: Aktuell sind rund 16 Millionen Dokumente im System. Pro Monat werden ca. 5000 Meldungen
von den Gemeinden über das kantonale Migrationsamt an das SEM übermittelt.
Zentrale Komponenten: SQL-Datenbank, Domino-Applikation, Web Frontend, eCH-Standards.
Ablauf: Erste Version von MiGEK Ende 2014, Einführung der Workflow-Plattform PuM März 2015,  Digitalisierung der letzten Papierdossiers Anfang 2017.




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