TV-Markt 09.04.2025, 06:55 Uhr

Warten auf den Blackout

Nach dem Ende des Nebenkostenprivilegs steht der TV-Markt Kopf: Millionen Haushalte empfangen weiterhin Kabel-TV ohne zu zahlen. Kabelnetzbetreiber zögern beim Abklemmen, IPTV wächst langsamer als erwartet. Sind Streaming-Dienste die eigentlichen Gewinner?
Verbraucher betrachten den Fernseher
(Quelle: Generated by DALL-E)
Die Ära endete eigentlich schon im Frühsommer des vergangenen Jahres: Das Nebenkostenprivileg, jahrzehntelang eine verlässliche ­Einnahmequelle der Kabelnetzbetreiber, wurde abgeschafft. Seitdem kann jeder Mieter selbst entscheiden, ob er für den Kabelanschluss bezahlt – oder sich eine Alternative sucht. Doch der befürchtete Blackout blieb zunächst aus. Viele Haushalte empfingen weiterhin Kabelfernsehen, selbst ohne Abschluss eines neuen Vertrags – und tun dies teilweise bis heute. Der Markt befindet sich also weiterhin im Wandel, und es ist nicht leicht, klare Gewinner und Verlierer auszumachen. 
Doch wie viele der betroffenen Haushalte haben sich tatsächlich aktiv für ein neues TV-Angebot entschieden? Die Antwort darauf variiert je nach Quelle. Laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF), die bereits zwischen August und September 2024 durchgeführt wurde, hatten sich zu diesem Zeitpunkt etwa 62 Prozent für einen neuen Kabelvertrag entschieden. Weitere sieben Prozent wechselten zu einer anderen Empfangsart wie IPTV oder Satellit, während 27 Prozent noch keine vertraglich geregelte Lösungen gefunden hatten. Diese Haushalte nutzten also weiterhin Kabel-TV, ohne dafür zu bezahlen. 
Tatsächlich dürften die Kabelnetze eher noch mehr Kunden verloren haben. So bestätigt etwa Vodafone, dass man nur etwa die Hälfte der betroffenen Kunden wieder für sich gewinnen konnte. „Es war klar, dass sich der gesamte TV-Markt durch die Gesetzesänderung spürbar verkleinern wird. Viele Menschen haben sich schon vor dem Stichtag vom Fernsehen verabschiedet und ausschliesslich Streaming-Angebote oder Mediatheken genutzt“, sagt dazu Maren Pommnitz, Bereichsleiterin Connectivity & Entertainment bei ­Vodafone. Dennoch habe man das selbst gesteckte Ziel erreicht.
Eine aktuellere Studie von Zattoo, die gemeinsam mit YouGov durchgeführt wurde, kommt zu einem noch brisanteren Ergebnis: So heisst es da­rin, dass sich 33 Prozent der Mieter bis heute nicht aktiv entschieden haben und damit Kabelfernsehen weiterhin ohne eigenen Vertrag empfangen. Im Vergleich dazu hätten 30 Prozent einen neuen Vertrag mit ihrem bisherigen Anbieter abgeschlossen, während 13 Prozent zu einem anderen Anbieter wechselten und 14 Prozent komplett auf lineares Fernsehen verzichteten. 

Schwarzsehen als Massenphänomen?
Quelle: Zattoo/YouGov-Studie (Januar 2025)

Ein Drittel aller Haushalte, die schwarzsehen? Das kann den Kabelnetzbetreibern nicht gefallen, aber auch der Wettbewerb ist verärgert: Arnim Butzen, Senior Vice President TV & Entertainment bei der Deutschen Telekom, fordert ein härteres Durchgreifen: „Aus unserer Sicht müssten die Kabelanbieter schneller aktiv handeln und die Nutzer ohne gültigen Vertrag auch ‚abklemmen‘. Immerhin reden wir hier über mehr als zwei Millionen potenzielle Kunden.“
Doch die Kabelanbieter sind zurückhaltend. ­Vodafone hat zwar offiziell erklärt, dass man Schwarznutzer abklemmen werde, aber es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie oft dies bereits geschehen ist. Pommnitz sagt dazu nur: „Wir werben natürlich weiter um die verlorenen Kunden in den Mietverhältnissen. Gleichzeitig sperren wir aber auch gezielt Kabelanschlüsse, wenn eine ungerechtfertigte Nutzung durch Mieter vorliegt. Die Mieter werden im Vorfeld mehrfach informiert und erst dann abgeklemmt. Wer das Fernsehsignal nutzt, muss auch dafür bezahlen.“
Klar ist: Die Kabelnetzbetreiber haben massiv Kunden verloren. Allein bei Vodafone dürften es in den letzten zwölf Monaten über vier Millionen Kabelkunden gewesen sein. Auf der anderen Seite hat die Telekom mit MagentaTV mehr als 300.000 Vertragskunden gewinnen können, ergänzt um weitere 300.000 Kunden für das flexible OTT-­Produkt MagentaTV. Waipu.tv spricht von knapp 600.000 Neukunden. Wie man auch rechnet: Eine Lücke bleibt bestehen. 

Wird Fernsehen insgesamt weniger genutzt?

Das wirft eine entscheidende Frage auf: Fehlen hier nur die Kabel-Schwarzseher oder hat sich der Markt insgesamt verkleinert? Die Zahlen legen genau das nahe. Christoph Vilanek, CEO von Freenet, beschreibt es so: „IPTV hat von der Aufmerksamkeit rund um das Nebenkostenprivileg profitiert, aber wir haben immer vorhergesagt, dass es keine Flutwelle geben wird.“ Die Vermutung drängt sich auf, dass sich die TV-Nutzung insgesamt verändert hat. Immer mehr Menschen verzichten komplett auf klassisches Fernsehen. Stattdessen boomt Streaming. Netflix, Prime Video, Disney+ und Joyn haben ihre Marktanteile ausgebaut, während traditionelle TV-Anbieter kämpfen müssen.

Quelle: Deutsche Telekom
Die Zukunft des TV-Markts: Kabel, IPTV oder Streaming?

Was bedeutet das für die Zukunft? Vodafone setzt weiterhin auf das Kabelnetz und bewirbt GigaTV als hybride Lösung, die sowohl klassisches Fernsehen als auch Streaming vereint. „Das Kabel steht für zuverlässige Technik, stabile Bild- und Tonqualität und eine grosse Programmvielfalt. Natürlich verändert sich der Fernsehkonsum, und die Streaming-Nutzung wird weiter zunehmen“, sagt Maren Pommnitz von Vodafone. Mit Disney+ und Paramount+ habe man daher zuletzt zwei stark nachgefragte Anbieter fest in das Vodafone-Angebot integriert und komme damit dem Wunsch nach Vielfalt nach. „Dennoch wird das lineare Fernsehen auch in Zukunft die dominierende Nutzungsform bleiben“, ist sich Pommnitz sicher. 
Die IPTV-Anbieter sehen genau hier ihre Chance. Auch wenn sich ihre ursprüngliche Erwartung, dass sich ein grosser Teil der ehemaligen Kabelkunden für internetbasierte TV-Angebote entscheiden würde, nicht sofort erfüllt hat, wollen sie den Wandel im TV-Markt zumindest an vorderster Front mitgestalten. Ihr Fokus liegt auf technologischer Weiterentwicklung, die den Zuschauern mehr Flexibilität und massgeschneiderte Inhalte bietet. Und auch sie setzen verstärkt auf ein eng verzahntes Angebot aus TV- und Streaming-Diensten.
„Unser Ziel ist es, unseren Kundinnen und Kunden alle Produkte für ihren digitalen Alltag aus einer Hand zu bieten – also nicht nur Mobilfunk und Festnetz, sondern auch TV. Streaming-Partnerschaften sind ein wichtiger Bestandteil dieser Strategie, denn sie ermöglichen es uns, noch mehr relevante Inhalte auf einer Plattform zu bündeln“, heisst es bei O2 Telefónica. Auch die Telekom verfolgt diesen Ansatz. „Wir treiben MagentaTV mit technologischen und inhaltlichen Innovationen voran, um das Fernseherlebnis auf ein neues Level zu heben. Dazu zählen eine stärkere Personalisierung, der Ausbau von FAST-Channels und eine optimierte Positionierung von Content-Empfehlungen“, erklärt Arnim Butzen von der Telekom.
Die grössten Gewinner im TV-Segment dürften derzeit die Streaming-Plattformen sein. Während sich Kabel- und IPTV-Anbieter gegenseitig Kunden abjagen, profitieren vor allem die grossen Streaming-Dienste. „Die Marktentwicklung zeigt, dass immer mehr Haushalte auf lineares Fernsehen verzichten und stattdessen auf Plattformen wie Netflix, Disney+ oder Joyn setzen“, sagt Constanze ­Gilles, Leiterin Konsumentengeschäft bei Zattoo.

Die Rolle des Fachhandels im TV-Markt

Inmitten dieser Veränderungen steht auch der TK-Fachhandel, der in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle in der TV-Vermarktung spielte. Wenn es nach Telekom, Vodafone und Co. geht, soll dies auch so bleiben. „Der Fachhandel wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle im Vertriebsmix von MagentaTV spielen“, erklärt Georg Schmitz-Axe, Leiter Telekom Partner. „Viele Kunden schätzen die individuelle Betreuung und benötigen Unterstützung bei der Auswahl und Einrichtung ihres TV-Angebots – insbesondere in Kombination mit zusätzlicher Hardware, die für ein optimales Nutzungserlebnis sorgt.“ Ein regelrechter Schub hat sich bei der Telekom offenbar mit der Einführung des OTT-Tarifs im Jahr 2023 ergeben: „In der Vergangenheit gestaltete sich die Vermarktung von MagentaTV für den Fachhandel schwierig, insbesondere bei Breitbandkunden, die bereits einen Vertrag mit Wettbewerbern hatten – etwa Glasfaserkunden regionaler Anbieter. In diesen Fällen war es früher kaum oder gar nicht möglich, MagentaTV erfolgreich anzubieten. Nun können auch Kunden angesprochen werden, die keinen Telekom-Internet-Anschluss nutzen“, so Schmitz-Axe. Der Fachhandelschef der Telekom erhofft sich von Bundle-Produkten wie „MagentaTV MegaStream“ oder „MagentaTV Smart­Stream“, die auch Angebote von Streaming-Anbietern umfassen, zudem mehr Nachfrage bei jungen Menschen. „Das ist eine sehr spannende Zielgruppe für uns und wir verstärken die Ansprache hier über Social Media, wobei innovative Technologien wie KI-Avatare eingesetzt werden, um die Interaktion mit potenziellen Kunden zu optimieren.“
Vodafone betont hingegen die Ergänzung der Breitbandvermarktung durch TV: „Im Fokus der Fachhändler steht vor allem unser Breitbandangebot, das wir im vergangenen Jahr noch enger mit TV verzahnt haben“, sagt Pommnitz. So bekäme nun jeder Kunde, der einen Breitbandvertrag abschliesst, TV standardmässig dazu. „Diese Kombination eröffnet Spielraum für mehr: Wer mehr will als nur das Fernsehsignal über den Kabelanschluss, erhält mit unserer Set-Top-Box ‚GigaTV Home‘ zusätzliche Sender und die passenden Streaming-Angebote“, so Pommnitz. Ausserdem seien Streaming-Dienste in vielen Fällen der perfekte Einstieg ins Gespräch mit den Kunden.
Auch Pÿur betont die Bedeutung des stationären Handels. „Der Fachhandel ist weiterhin ein sehr wichtiger Partner, und die Zusammenarbeit hilft allen Seiten: uns als Serviceanbieter, dem Fachhandel zur Vermarktung von Produkten und Services sowie der zufriedenen Kundschaft. Wir bieten zwar einen telefonischen Kundenservice, eine App und einen technischen Installationsdienst an, jedoch ist die persönliche Beratung weiterhin ein sehr wichtiges Element, das sich in der Vergangenheit bewährt hat und auch in Zukunft einen sehr wichtigen Beitrag leisten wird“, so Markus Oswald, CEO der Tele Columbus AG.

Quelle: Vodafone
Fazit: Ein Markt in Bewegung

Der TV-Markt befindet sich also weiterhin in einer Umbruchphase. Das Ende des Nebenkostenprivilegs hat Bewegung in den Markt gebracht, doch viele Haushalte haben sich bislang nicht aktiv entschieden. Während die Kabelnetzbetreiber mit neuen Tarifmodellen um ihre früheren Kunden werben, setzen IPTV-Anbieter auf technologische Innovationen und Streaming-Integration. Doch die wahren Gewinner könnten die Streaming-Plattformen sein, die von der generellen Veränderung des Nutzungsverhaltens profitieren.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Kabelanbieter ihre „Schwarzseher“ tatsächlich konsequent abklemmen, ob IPTV stärker wächst als bisher – oder ob sich immer mehr Haushalte endgültig vom linearen Fernsehen verabschieden. Klar ist: Der Wettbewerb um die Gunst der TV-Kunden ist härter denn je.

Im Gespräch mit CEO Christoph Vilanek, Freenet AG

Quelle: Freenet AG
Der IPTV-Markt wächst langsamer als ­erwartet. Telecom Handel sprach über den Wegfall des Nebenkostenprivilegs und die Streaming-Konkurrenz mit ­Christoph Vilanek. 
Das Nebenkostenprivileg ist gefallen, die Kabelnetzbetreiber haben massiv Kunden verloren. Doch der Zuwachs bei den alternativen TV-Anbietern blieb unter den Erwartungen. Wie fällt Ihre Bilanz aus? 
Christoph Vilanek: IPTV hat von der Aufmerksamkeit rund um das Nebenkostenprivileg profitiert, aber wir haben immer vorhergesagt, dass es keine Flutwelle geben wird, nur weil Kabel jetzt frei wählbar ist. Was wir sehen, ist, dass die Verbraucher schrittweise verstehen, welche Vorteile IPTV bringt, und der Trend dahin ist nicht mehr aufzuhalten. Waipu.tv hat 2024 knapp 600.000 Nettoneukunden dazugewonnen. Damit haben wir das Ziel von zwei Millionen Kunden knapp verfehlt, was aber daran lag, dass O2 Telefónica seit dem vierten Quartal 2024 statt Waipu.tv nun ihr eigenes Produkt vermarktet. 
Wie schätzen Sie die langfristigen Auswirkungen des Wegfalls des Nebenkostenprivilegs ein? 
Vilanek: Eigentlich müssen die IPTV-Anbieter nur abwarten. Denn schauen wir uns die Entwicklung an, so verschiebt sich der Markt weg von den herkömmlichen Übertragungswegen hin zu IPTV. Und das hat auch einen Grund. ­Satellit ist inzwischen schon ein wenig old-fa­shioned: Die Aufnahme von Programmen ist schwierig, nicht programmierbar, es fehlen jegliche Komfortfunktionen, die Installation ist aufwendig, umständlich und teuer und das Bild abhängig vom Wetter. Kabel ist ohne Box in SD, und digitales Kabel kostet mehr als doppelt so viel.  
Der IPTV-Markt entwickelte sich aber auch erst langsam, und auch Waipu.tv war zunächst kein Selbstläufer …
Vilanek: Die Markenbekanntheit war anfangs nicht gegeben und es gab auch kein physisches Produkt. Mit dem Werbeeinsatz von Testimonial Dieter Bohlen ist die Markenbekanntheit von Waipu.tv stark gestiegen, und mit dem Stick ist das Produkt heute anfassbarer und vorverkauft. Unsere Partner spielen uns zurück, dass es jetzt ein Produkt ist, an das man den Kunden nicht mehr kompliziert heranführen muss.  
Die Konkurrenz im TV-Markt wächst stetig, insbesondere auch durch Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon Prime. Wie sehen Sie die Auswirkungen dieses Wettbewerbs auf IPTV- und Kabelanbieter? 
Vilanek: In Deutschland schaut der durchschnittliche Bürger rund drei Stunden pro Tag lineares Fernsehen, aber auch VoD-Angebote wie die Waiputhek werden im Schnitt rund eine halbe Stunde am Tag genutzt. Bei Waipu.tv gibt’s beides in einem Angebot. Diese Strategie werden wir auch weiterverfolgen, aber den Schwerpunkt dabei nach wie vor auf das lineare Fernsehen setzen. Denn auch die nächsten 20 Jahre wird es TV genauso geben wie heute. Und um Ihre Frage zur Konkurrenz noch zu beantworten: Durch unsere Kooperationen sehen wir Streaming-Dienste wie Netflix und Co. nicht als Wettbewerb, sondern als starke Partner, mit denen wir gemeinsam das beste Entertainment-Erlebnis für unsere Kunden schaffen.  
Sie vermarkten Waipu.tv und Freenet TV auch über Partner. Welche Bedeutung hat der Handel für Sie?
Vilanek: Wir bieten beide Produkte sowohl dem Fachhandel als auch in unseren Shops (eigene und Franchise) an. Waipu.tv ist das Produkt, das man einfacher und besser verkaufen kann, weil es mit dem Handy oder Tablet verknüpft ist, und damit ist die Ansprache leichter und logischer. Wenn man den Kunden erklärt, dass Kabel kostet, dass HD extra kostet und dass man Fernsehen, also den Zugang und den eigenen Videorekorder, mit Waipu.tv immer bei sich haben kann, dann ist das Verkaufsgespräch eigentlich schon gelaufen. Und am besten verkauft es sich mit TV-Stick oder Box – Kunden am PoS brauchen etwas zum Anfassen und idealerweise auch zum Mitnehmen.



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